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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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mir irgendeine Waffe, versteckte mich damit hinter der Tür und zog ihm eine über, wenn er hereinkam. Eine verlockende Vorstellung. Selbst wenn mein Plan scheiterte – und er würde mit Sicherheit scheitern –, böte sich immerhin eine Gelegenheit, ihm etwas anzutun, und das wünschte ich mir mehr als alles andere auf der Welt.
    Nein, die größte Chance hatte ich, wenn ich versuchte, durch die Tür zu entkommen, während er fort war. Ich wusste nicht, ob die Tür abgesperrt war. Ich tastete den Boden ab. Vielleicht lag irgendetwas herum, das ich in den Türspalt schieben und als Hebel benutzen konnte. Erst kamen mir nur ein paar nutzlose Holzstücke unter die Finger, dann stieß ich auf ein schmales Stück Metall Wenn es mir gelang, es an der Tür festzuhaken, konnte ich sie unter Umständen aufziehen. Falls sich auf der anderen Seite ein Riegel befand, war ich vielleicht in der Lage, ihn durch den Türspalt hindurch mit dem Metallstreifen hochzuschieben. Ich trat an die Tür und tastete nach dem Spalt. Gerade wollte ich das Metall durchschieben, als ich ein Geräusch hörte. Es bestand kein Zweifel: das Klappern einer Tür, dann Schritte.
    Die Idee, bei der Tür zu bleiben und mit ihm zu kämpfen, war einfach dumm. Auf Zehenspitzen durchquerte ich den Raum und schlich in die schreckliche Dunkelheit hinein. Falls es sich bloß um einen abgeschlossenen Lagerraum handelte, wäre ich dort gefangen wie ein Tier. Doch es war eine Art Korridor mit Durchgängen zu beiden Seiten. Ich musste mich so weit wie möglich entfernen, Zeit gewinnen. Vielleicht würde er zunächst diese Seitenräume durchsuchen. Ich stolperte weiter, bis ich am Ende des Gangs auf eine Mauer stieß.
    Auch hier zweigte zu beiden Seiten je ein Durchgang ab.
    Ich warf einen Blick durch den linken. Nichts als Finsternis. Also nach rechts. Dort war etwas. Ich konnte ein Licht erkennen. Oben an der Wand, auf der anderen Seite des Raums. Irgendetwas Fensterartiges. Hinter mir, weit hinter mir in der Dunkelheit hörte ich ein Geräusch, einen Schrei, eine Tür, Schritte, und von da an war es, als befände ich mich in einem jener Alpträume, in denen alles verkehrt herum läuft. Man läuft so schnell man kann, doch der Boden ist plötzlich wie Morast, man kommt nicht voran, wird verfolgt und tritt auf der Stelle. Ich überließ es irgendeinem primitiven, vom Instinkt gesteuerten Teil meines Gehirns, eine Entscheidung zu treffen und mein Leben zu retten. Ich weiß noch, dass ich mir irgendetwas schnappte. Sekunden später klirrte Glas, und ich zwängte mich durch einen Spalt, der sich viel zu schmal anfühlte, doch schon war ich hindurch. Ein brennender Schmerz durchzuckte meinen Körper. Dann hörte ich einen Knall.
    Irgendwo hinter mir. Und einen Schrei.
    Ich lief ein paar Stufen hinauf. Plötzlich spürte ich Wind auf meiner Haut. Luft. Ich war im Freien. In der Ferne sah ich Lichter. Ich rannte auf sie zu, rannte immer schneller, wie in Trance, ohne meine Umgebung wahrzunehmen. Ich lief einfach weiter, denn sobald ich stehen blieb, war ich tot. Steinchen und scharfe Gegenstände drückten sich in meine Fußsohlen. Bestimmt war er sehr schnell. Wie ein Kaninchen musste ich Haken schlagen. Dabei konnte ich nicht einmal richtig sehen, nach all den Tagen mit der Kapuze. Die Lichter brannten in meinen Augen. Sie wirkten grell und verschwommen zugleich, wie hinter Milchglas. Meine Schritte klangen unnatürlich laut. Lauf einfach weiter, Abbie! Denk nicht an deine Schmerzen.
    Denk an gar nichts. Lauf!
    Irgendwo tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich etwas finden musste, das sich bewegte. Ein Auto. Einen Menschen. Ich durfte nicht dort hinlaufen, wo es einsam war. Ich brauchte Menschen. Doch ich konnte nicht mehr rennen, konnte mich nicht mehr konzentrieren. Ich durfte nicht anhalten. Ich durfte einfach nicht. Plötzlich sah ich ein Licht, ein Licht in einem Fenster. Ich befand mich in einer Straße mit Häusern zu beiden Seiten. Einige waren mit Brettern vernagelt. Nein, mehr als das. Schwere Metallgitter schützten Türen und Fenster. Aber da brannte ein Licht. Ich hatte einen Moment großer Klarheit. Am liebsten wäre ich zu der Tür gelaufen und hätte schreiend auf sie eingehämmert, aber ein Rest von Verstand hielt mich davon ab. Ich wollte die Person in dem Haus ja nicht erschrecken, so dass sie einfach den Fernseher lauter stellte und gar nicht an die Tür kam.
    Deswegen drückte ich nur wie eine Wahnsinnige auf den Klingelknopf. Weit drinnen

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