In seiner Hand
er. »Das war’s. Wir sind fertig.«
»Und? Habe ich bestanden? Habe ich einen Dachschaden?«
Er lächelte verschmitzt. »Schwer zu sagen. Ich habe keine Testergebnisse aus der prämorbiden Phase.
Entschuldigen Sie, ich weiß, das klingt ziemlich schlimm.
Ich meine damit die Phase vor dem Einsetzen des Gedächtnisverlusts. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie vorher noch besser waren. Sie haben ein bemerkenswert gutes Gedächtnis. Insbesondere Ihr räumliches Erinnerungsvermögen ist ausgezeichnet. Da würde ich jederzeit mit Ihnen tauschen.«
Ich spürte, wie ich gegen meinen Willen rot wurde.
»Vielen Dank, ähm, Charlie, aber …«
Einen Moment lang wurde seine Miene ernst, und er betrachtete mich eingehend.
»Was meinen Sie selbst?«, fragte er.
»Ich fühle mich gut. Ich meine, nicht wirklich gut. Ich habe Alpträume und durchlebe das, was mir passiert ist, im Geiste immer wieder neu. Aber ich kann klar denken.
Da ist nur diese Lücke in meinem Gedächtnis. Ich versuche permanent, mich zu erinnern, aber es ist, als würde ich in absolute Dunkelheit starren.«
Er begann, seine Testblätter wieder einzuordnen.
»Versuchen Sie, einen Blick auf die Ränder zu werfen«, schlug er vor. »Bleiben Sie bei Ihrer bildlichen Vorstellung von einem dunklen Bereich. Man könnte sagen, dass Sie es mit einem völlig dunklen und einem völlig hellen Bereich zu tun haben. Sie könnten sich auf den Teil konzentrieren, in dem die beiden Bereiche aufeinandertreffen.«
»Das habe ich schon getan, Charlie. Und wie ich das getan habe! Die Phase danach stellt kein Problem dar. Ich bin aufgewacht und war an besagtem Ort. Ich weiß nicht, wie ich dort hingekommen bin, ich kann mich an keine Entführung erinnern. Mit der vorhergehenden Phase ist es schwieriger. Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich davor als Letztes gemacht habe. Es gibt keinen Punkt, an dem plötzlich alles abbricht. Ich kann mich lediglich dunkel daran erinnern, dass ich gearbeitet habe. Es ist, als wäre ich langsam in die Dunkelheit geglitten, ohne es zu bemerken.«
»Verstehe«, sagte Charles und notierte wieder etwas.
Das machte mich nervös.
»Ist das nicht etwas lächerlich? Das Entscheidende, woran ich mich erinnern müsste, ist weg. Es interessiert mich doch gar nicht, wie unser Premierminister heißt. Ich will nur wissen, wie ich entführt worden bin und wie der Kerl aussieht. Aber mir ist da ein Gedanke gekommen –
womöglich war das, was ich erlebt habe, so schockierend, dass ich einfach alles verdrängt habe. Halten Sie das für möglich?«
Mit einem Klick versenkte er die Mine seines Stifts. Als er meine Frage schließlich beantwortete, kam es mir fast vor, als müsste er ein leises Lächeln unterdrücken.
»Sie wollen wissen, ob unter Umständen all Ihre Erinnerungen zurückfluten würden, wenn ich meine Armbanduhr vor Ihrem Gesicht hin und her baumeln ließe?«
»Das wäre sehr hilfreich.«
»Vielleicht«, sagte er. »Aber ich bin sicher, Ihre Amnesie hat nichts mit einer Form von posttraumatischem Stress zu tun. Meiner Meinung nach handelt es sich dabei nicht um ein psychologisches Symptom.«
»Wenn ich mit Cross spreche – so heißt der zuständige Polizeibeamte –, dann komme ich mir so lächerlich vor.«
»Ein derartiger Gedächtnisverlust ist sehr bedauerlich und frustrierend«, antwortete er, »aber nicht lächerlich.
Eine posttraumatische Amnesie nach einer äußerlichen Kopfverletzung wie der Ihren ist nicht ungewöhnlich. Am häufigsten kommt so etwas bei Autounfällen vor. Die Betroffenen schlagen sich beim Aufprall den Kopf an.
Wenn sie hinterher aufwachen, können sie sich an den Unfall nicht mehr erinnern, oft aber auch nicht an die Stunden oder sogar Tage davor.«
Vorsichtig berührte ich meinen Kopf. Er kam mir plötzlich so zerbrechlich vor.
»Post-traumatisch«, wiederholte ich. »Haben Sie nicht vorhin gesagt, es sei nichts Psychologisches?«
»Ist es auch nicht«, erwiderte er. »Psychogene Amnesie
– damit meine ich einen Gedächtnisverlust, der eher durch psychologische Einflüsse als durch eine Gehirnverletzung ausgelöst wird – ist in Fällen wie dem Ihren seltener und –
wie soll ich sagen – zweifelhafter.«
»Wie meinen Sie das?«
Er stieß ein vorsichtiges Hüsteln aus.
»Ich bin kein Psychologe, deswegen bin ich in dieser Hinsicht vielleicht voreingenommen, aber ein beträchtlicher Prozentsatz aller Mörder behauptet beispielsweise, sich nicht erinnern zu können, den
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