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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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hörte ich es läuten. Mach auf mach auf mach auf mach auf. Ich hörte Schritte. Langsam, leise, schlurfend. Endlich, nach einer Ewigkeit, ging die Tür auf, und ich fiel gleichsam mit ihr ins Haus, warf mich auf den Boden.
    »Polizei! Bitte! Polizei. Bitte!«
    Dann, ausgestreckt auf einem fremden Linoleumboden, stammelte ich nur noch »Bitte bitte bitte bitte bitte«.

    ZWEITER TEIL
    »Möchten Sie, dass ich gleich eine richtige Aussage mache?«
    »Später«, antwortete er. »Zunächst unterhalten wir uns ein bisschen.«
    Anfangs konnte ich ihn gar nicht richtig sehen. Ich nahm nur seine Silhouette vor dem Fenster meines Krankenhauszimmers wahr. Das Licht war zu grell für meine empfindlichen Augen, so dass ich den Blick abwenden musste. Erst als er näher an das Bett herantrat, war ich in der Lage, seine Gesichtszüge auszumachen, sein kurzes braunes Haar, seine dunklen Augen. Er war Detective Inspector Jack Cross. Der Mensch, dem ich jetzt alles überlassen konnte. Vorher musste ich ihm alles erzählen. Es gab so viel zu erklären.
    »Ich habe schon mit jemandem gesprochen. Einer Frau in Uniform. Jackson.«
    »Jackman. Ich weiß. Ich wollte selbst mit Ihnen reden.
    Woran erinnern Sie sich?«
    Ich erzählte ihm meine Geschichte. Er stellte Fragen, die ich zu beantworten versuchte. Eine gute Stunde später –
    ich hatte gerade wieder eine seiner Fragen beantwortet –
    verstummte er plötzlich, und ich hatte das Gefühl, alles gesagt zu haben, was sich zu der Sache überhaupt sagen ließ. Er schwieg mehrere Minuten, ohne mich ein einziges Mal anzulächeln oder auch nur anzusehen. Ich beobachtete sein wechselndes Mienenspiel. Er wirkte verwirrt, frustriert, tief in Gedanken versunken.
    »Zwei Punkte noch«, sagte er schließlich. »Ihr Gedächtnis. Was ist das Letzte, woran Sie sich erinnern können? Waren Sie im Büro? Zu Hause?«
    »Tut mir Leid. Das ist alles so verschwommen. Ich habe Tage damit verbracht, über diese Frage nachzudenken. Ich erinnere mich an einzelne Szenen im Büro, aber auch in meiner Wohnung. Es gibt keinen definitiven letzten Moment.«
    »Demnach können Sie sich also nicht erinnern, diesem Mann begegnet zu sein.«
    »Nein.«
    Er zog ein kleines Notizbuch und einen Stift aus einer Seitentasche seiner Jacke.
    »Dann wären da noch die anderen Namen.«
    »Kelly. Kath. Fran. Gail, Lauren.«
    Er schrieb mit, während ich sie aufzählte.
    »Fällt Ihnen sonst noch etwas dazu ein? Vielleicht ein Nachname? Oder haben Sie eine Ahnung, wo er auf diese Frauen getroffen ist oder was er mit ihnen gemacht hat?«
    »Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß.«
    Seufzend klappte er sein Notizbuch zu und stand auf.
    »Bin gleich wieder da«, sagte er und verließ den Raum.
    Ich hatte mich bereits an den Rhythmus des Krankenhauslebens gewöhnt, an das langsame Tempo mit den langen Pausen dazwischen, so dass ich sehr überrascht war, als der Detective keine fünf Minuten später in Begleitung eines älteren Mannes zurückkehrte. Der Mann trug einen perfekt sitzenden Nadelstreifenanzug, aus dessen Brusttasche ein weißes Taschentuch ragte. Er griff nach dem Klemmbrett am Ende meines Bettes und machte dabei den Eindruck, als würde ihn die ganze Situation langweilen. Er fragte mich nicht nach meinem Befinden, sondern sah mich bloß an, als wäre ich ein Gegenstand, über den er auf der Straße gestolpert war.
    »Das ist Dr. Richard Burns«, erklärte DI Cross. »Er ist für Ihren Fall verantwortlich. Wir werden Sie auf eine andere Station verlegen. Sie bekommen ein Einzelzimmer.
    Mit einem Fernseher.«
    Dr. Burns legte das Klemmbrett beiseite und nahm seine Brille ab.
    »Miss Devereaux«, sagte er. »Wir werden uns eingehend um Sie kümmern.«

    Die eisige Luft traf mein Gesicht wie eine Ohrfeige.
    Keuchend rang ich nach Luft. Mein Atem hinterließ eine weiße Wolke. Das kalte, grelle Licht schmerzte in meinen Augen.
    »Sie können sich wieder in den Wagen setzen, wenn Sie wollen«, sagte Jack Cross.
    »Nein, ich finde es schön hier.« Ich legte den Kopf zurück und atmete tief durch. Der Himmel war blau, nicht die Spur einer Wolke war zu sehen, und die Sonne wirkte wie eine ausgewaschene Scheibe, spendete aber keine Wärme. Alles funkelte vor Frost. Das schmutzige alte London sah einfach wundervoll aus.
    Wir standen in einer Straße, gesäumt von Reihenhäusern. Die meisten Eingänge waren mit Brettern vernagelt, bei einigen waren Metallgitter vor den Fenstern angebracht. Die kleinen Vorgärten standen voller

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