In seiner Hand
Mord begangen zu haben. Dabei handelt es sich nicht um Leute, die körperliche Verletzungen davongetragen haben. Es sind verschiedene Erklärungen denkbar. Oft sind die Täter stark betrunken, was zu Blackouts und damit verbundenen Gedächtnislücken führen kann. Außerdem ist davon auszugehen, dass ein Mensch, der einen Mord begeht, unter extremem Druck steht, und zwar unter größerem als in fast allen anderen Stresssituationen, die man sich vorstellen kann. Das könnte sich ebenfalls auf das Erinnerungsvermögen auswirken. Ein paar von uns Skeptikern würden vielleicht auch sagen, dass es für einen Mörder oft sehr praktisch ist, wenn er behauptet, sich an das Geschehene nicht erinnern zu können.«
»Aber entführt zu werden und den Tod vor Augen zu haben, ist auch extrem stressig. Könnte diese Situation nicht doch dazu geführt haben, dass mir aus psychologischen Gründen alles entfallen ist?«
»Meiner Meinung nach nicht, aber wenn ich jetzt vor Gericht stünde und Sie wären ein Anwalt, könnten Sie mich dazu bringen zuzugeben, dass es möglich wäre. Ich fürchte, es werden noch einige Leute in Ihnen herumstochern wie in einem Versuchskaninchen, um Antworten auf genau solche Fragen zu erhalten.«
Er stand auf und schaffte es nach anfänglichen Schwierigkeiten, sich alle seine Akten wieder unter den Arm zu klemmen.
»Abigail«, sagte er dann.
»Abbie.«
»Abbie. Sie sind ein faszinierender Fall. Ich glaube nicht, dass ich der Versuchung widerstehen kann, noch einmal herzukommen.«
»Kein Problem«, antwortete ich. »Wie es aussieht, habe ich jede Menge Zeit. Eins muss ich Sie aber noch fragen: Besteht die Chance, dass meine Erinnerungen zurückkehren?«
Er zögerte einen Moment und zog dabei eine seltsame Grimasse, was wohl ein Zeichen dafür war, dass er nachdachte.
»Ja, das ist möglich.«
»Vielleicht durch Hypnose?«
Plötzlich wirkte er geschockt und begann in seiner Tasche herumzukramen, was mit einem Arm voller Akten ein besonders schwieriges Unterfangen darstellte.
Schließlich reichte er mir eine Karte.
»Da stehen mehrere Nummern drauf. Falls irgendjemand diesen Raum betritt und anfängt, Dinge vor ihren Augen baumeln zu lassen oder mit beruhigender Stimme auf Sie einzureden, dann rufen Sie mich sofort an!«
Mit diesen Worten ging er, und ich blieb mit meinem schmerzenden Kopf zurück. Einem Kopf mit einem schwarzen Loch.
»Haben Sie schon mit Ihrem Freund gesprochen?«
Ich brachte nur ein Murmeln zustande. Ich war noch gar nicht richtig wach. Besorgt beugte sich DI Cross über mich.
»Soll ich eine Schwester rufen?«, fragte er.
»Nein. Und um Ihre Frage zu beantworten: Nein, habe ich nicht.«
»Er scheint im Moment nicht auffindbar zu sein.«
»Ich weiß«, antwortete ich. »Ich habe schon drei Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen.
Bestimmt ist er beruflich unterwegs.«
»Kommt das oft vor?«
»Er ist IT-Berater, was auch immer das sein mag. Er fliegt ständig wegen irgendwelcher Sonderprojekte nach Belgien oder Australien oder weiß Gott wohin.«
»Aber Sie können sich nicht erinnern, wann Sie ihn das letzte Mal gesehen haben?«
»Nein.«
»Möchten Sie mit Ihren Eltern sprechen?«
»Nein! Nein, bitte nicht.«
Er schwieg einen Moment. Ich war ihm wirklich keine große Hilfe. Krampfhaft überlegte ich, wie ich Cross eine Freude machen könnte.
»Wäre Ihnen geholfen, wenn Sie sich in unserer Wohnung umsehen könnten? Ich nehme an, ich werde in ein, zwei Tagen ohnehin entlassen, aber vielleicht fände sich dort ein Anhaltspunkt. Vielleicht bin ich dort entführt worden. Unter Umständen habe ich einen Hinweis hinterlassen.«
Cross’ ausdruckslose Miene veränderte sich kaum.
»Haben Sie einen Schlüssel, den Sie mir geben können?«
»Wie Sie wissen, besitze ich zur Zeit nichts außer der Kleidung, die ich bei meiner Flucht getragen habe. Aber im Garten vor dem Haus, links neben der Tür, liegen zwei Dinger, die aussehen wie echte Steine. In Wirklichkeit handelt es sich um Scherzartikel, wie man sie bei manchen Versandhäusern bestellen kann. Einer von beiden ist hohl, und wir haben darin einen Ersatzschlüssel versteckt. Den können Sie benutzen.«
»Haben Sie irgendwelche Allergien, Miss Devereaux?«
»Ich glaube nicht. Einmal habe ich allerdings einen Nesselausschlag bekommen, nachdem ich Meeresfrüchte gegessen hatte.«
»Leiden Sie an Epilepsie?«
»Nein.«
»Sind Sie schwanger?«
Ich schüttelte so heftig den Kopf, dass es weh
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