In seiner Hand
Brust schmerzte. Ich konnte noch immer nicht richtig atmen. In kleinen, unregelmäßigen Mengen sog ich die Luft ein, jedoch ohne Erleichterung zu verspüren. Die Schritte kamen näher. Ich war gefangen und musste ertrinken. In Luft ertrinken. In meinem Kopf begann es laut zu tosen. Ich öffnete die Augen, um mich herum war es noch immer dunkel, doch als ich die Augen wieder schloss, sah ich Rot. Meine Augen glühten in ihren Höhlen. Dann ging plötzlich ein Riss durch das Tosen, als wäre mein Kopf zerplatzt, um das ganze Entsetzen herauszulassen.
Endlich konnte ich schreien. Die Röhre füllte sich mit dem Klang meines Heulens. Meine Ohren dröhnten, und mein Hals wurde rau, aber ich konnte nicht aufhören zu schreien. Ich versuchte, die Schreie in Worte zu verwandeln und »Hilfe!« oder »Bitte!« zu rufen, aber die Laute brachen sich, schlugen Blasen und flossen ineinander. Alles zitterte und bebte, dann blendete mich plötzlich grelles Licht, und ich spürte Hände auf mir.
Hände, die mich festhielten, mich nicht loslassen wollten.
Ich schrie. Heulte. Die Schreie strömten geradezu aus mir heraus. Ich konnte in dem grellen Licht nichts sehen. Alles tat mir weh. Alles um mich herum schien mich mit seinem ganzen Gewicht erdrücken zu wollen. Neue Geräusche kamen hinzu, irgendwo waren Stimmen zu hören, jemand rief meinen Namen. Aus dem blendenden Licht starrten mich Augen an, beobachteten mich, aber ich konnte mich nirgends verstecken, weil ich mich nicht bewegen konnte.
Finger berührten mich. Kaltes Metall streifte meine Haut.
Meinen Arm. Etwas Nasses. Dann etwas Spitzes. Etwas, das sich in meine Haut bohrte.
Plötzlich war alles ruhig, und ich hatte das Gefühl, als würden sich das schmerzende Licht und die schrecklichen Geräusche langsam von mir entfernen, immer schwächer werden. Alles wurde schwächer, entfernte sich und verwandelte sich in Grau, als würde die Nacht hereinbrechen. Gerade, als ich mir nichts sehnlicher wünschte als Tageslicht. Und Schnee.
Als ich aufwachte, wusste ich nicht, wie viele Tage und Nächte seitdem vergangen waren. Die Welt war in Schwarz und Weiß gehüllt, aber mir war klar, dass es nicht an der Welt lag, sondern an mir. Mir schien, als läge ein grauer Filter vor meinen Augen, der allem die Farbe nahm. Meine Zunge fühlte sich trocken und pelzig an. Ich war nervös und gereizt. Am liebsten hätte ich mich am ganzen Körper gekratzt oder aber jemand anderen gekratzt. Ich verspürte den dringenden Wunsch aufzustehen und etwas zu unternehmen, wusste aber nicht, was.
Mein Frühstück schmeckte nach Pappe. Jedes Geräusch ließ mich zusammenzucken.
Ich lag im Bett, hing eine Weile düsteren Gedanken nach und begann Pläne zu schmieden mit der Absicht aufzustehen und mir jemanden zu suchen, der hier etwas zu sagen hatte, um dem oder der Betreffenden mitzuteilen, dass es für mich an der Zeit war, nach Hause zu gehen.
Anschließend würde ich Detective Inspector Cross aufsuchen und ihm nahelegen, allmählich mit seinen Ermittlungen in die Gänge zu kommen. Mitten in diesen Überlegungen betrat eine Frau den Raum. Sie trug weder eine Schwesterntracht noch einen weißen Kittel, sondern eine graue Hose aus einem schimmernden Stoff und einen honigfarbenen Pulli dazu. Ich schätzte sie auf gute fünfzig.
Sie hatte rotes Haar, blasse, sommersprossige Haut und eine randlose Brille auf der Nase.
»Ich bin Dr. Beddoes«, stellte sie sich lächelnd vor.
»Irene Beddoes«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu.
»Ich war bereits gestern Nachmittag hier. Erinnern Sie sich an unser Gespräch?«
»Nein.«
»Sie sind immer wieder eingeschlafen. Ich habe mir schon gedacht, dass Sie nicht viel mitbekommen haben.«
Obwohl ich so lange geschlafen hatte, fühlte ich mich immer noch müde. Müde und grau.
»Ich hatte bereits Besuch von einem Neurologen«, antwortete ich. »Er hat mein Gedächtnis getestet.
Außerdem bin ich in eine Maschine gesteckt worden. Man hat meinen Körper nach Verletzungen abgesucht und mich ein bisschen aufgepäppelt. Darf ich fragen, warum Sie hier sind?«
Ihr besorgtes Lächeln verlor nur eine Spur von seiner Herzlichkeit.
»Wir dachten, Sie möchten vielleicht mit jemandem reden.«
»Ich habe schon mit jemandem von der Polizei gesprochen.«
»Ich weiß.«
»Sind Sie Psychiaterin?«
»Unter anderem.« Sie deutete auf den Stuhl. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich setze?«
»Nein, natürlich nicht.«
Sie zog ihn zum Bett herüber und
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