In seiner Hand
kostümierte. Meine Haare waren erbärmlich kurz und stachlig, und weder Farbe noch Schnitt passten zu Kaschmir und edlem Beige mit Bügelfalten. Resigniert betrachtete ich mein Spiegelbild. Schließlich schlüpfte ich in eine alte Jeans, die ich mit einem Gürtel zusammenzog, und in ein rotes Flanell-T-Shirt, das ich in meinem Schrank fand, obwohl ich mich nicht daran erinnern konnte, es gekauft zu haben.
Ich musste wieder an mein Handy denken. Sollte ich es nun, da ich davon ausgehen musste, dass es sich in seinem Besitz befand, sperren lassen oder nicht? Ich konnte mich nicht entscheiden. Für mich war dieses Telefon eine Art unsichtbarer Faden, der sich zwischen uns spannte. Ich konnte ihn durchschneiden oder versuchen, ihm zu folgen
– aber würde ich ihm aus dem Labyrinth hinaus folgen oder wieder hinein?
Ich warf einen Blick auf die Blätter mit den Notizen, die ich an die Wand geklebt hatte. Offensichtlich war ich frühestens am Mittwoch entführt worden, am Spätnachmittag oder Abend. Half mir das weiter? Nein.
Ich rief Sadie an, nur um Hallo zu sagen, doch sie war nicht zu Hause, und ich hinterließ keine Nachricht. Ich überlegte kurz, ob ich Sheila und Guy anrufen sollte, entschied mich aber dagegen. Morgen. Das würde ich morgen tun. Ich trat ans Fenster und beobachtete die vorübereilenden Menschen. Vielleicht wusste er, wo ich war. Vielleicht war dies genau der Ort, an dem ich mich vor meiner Entführung aufgehalten hatte. Versteckte ich mich womöglich an dem einzigen Ort, von dem er sicher sein konnte, dass er mich dort finden würde?
Ich wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte, bis Cross kam. Ich hatte das starke Bedürfnis, mich zu beschäftigen und in Bewegung zu bleiben, mir selbst dringende Aufgaben und unverschiebbare Ultimaten zu stellen, weil ich mir auf diese Weise einreden konnte, ihm immer einen Schritt voraus zu sein. Rastlos spazierte ich in Jos ordentliches Zimmer hinüber und inspizierte die Schubladen ihrer Kommode. Alles lag in Reih und Glied, fein säuberlich zusammengelegt, sogar ihre Slips. Ich öffnete die rechteckige Lederschatulle, die oben auf der Kommode stand und betrachtete die wenigen Paar Ohrringe, die feine goldene Halskette, die fischförmige Brosche. Zwischen dem Schmuck lag ein kleines Stück weiße Pappe. Als ich es umdrehte, stellte ich fest, dass es mit einem vierblättrigen Kleeblatt beklebt war.
Anschließend inspizierte ich die Bücher auf ihrem Nachttisch. Es handelte sich um ein thailändisches Kochbuch, einen Roman eines Autors, dessen Namen ich noch nie gehört hatte, und eine Anthologie »101 fröhliche Gedichte«.
Außerdem lag eine unbeschriftete Videokassette auf dem Nachttisch. Ich kehrte damit ins Wohnzimmer zurück und schob sie in den Videorekorder. Nichts. Anscheinend war die Kassette leer. Ich spulte vor. Plötzlich tauchte eine verschwommene Schulter auf, dann schwenkte die Kamera ruckartig auf ein Bein. Dieses Video war offensichtlich von einem Anfänger aufgenommen worden.
Ich beugte mich vor und wartete.
Jos lächelndes Gesicht tauchte auf. Bei ihrem Anblick wurde mir mulmig. Dann wich die Kamera zurück, man sah Jo in der Küche am Herd stehen und etwas umrühren.
Sie wandte den Kopf und schnitt eine Grimasse, die offenbar der Person hinter der Kamera galt. Sie trug den Morgenmantel, der jetzt an ihrer Schlafzimmertür hing, und ihre mokassinähnlichen Hausschuhe. Ob das Video am Morgen oder am Abend aufgenommen war, ließ sich schwer sagen. Der Film brach ab, Linien zuckten über den flimmernden Bildschirm, dann sah ich plötzlich mich selbst. Bevor es passiert war. Ich trug eine Jogginghose und saß ungeschminkt im Schneidersitz auf meinem Sessel, ein Glas Wein in der Hand. Mein Haar – mein altes, langes Haar – war zu einer wilden Hochsteckfrisur aufgetürmt.
Lächelnd hob ich mein Glas zu einem Toast und warf eine Kusshand in Richtung Kamera, die sich auf mich zubewegte, bis mein Gesicht verschwamm.
Nach dem Flimmern setzte plötzlich ein Schwarzweißfilm ein, in dem eine Reiterin mit einem federverzierten Hut im Damensitz dahingaloppierte. Ich spulte weiter, doch nach dem Film, der bis zum Abspann aufgenommen war, kam nichts mehr. Ich spulte zurück und starrte ein weiteres Mal auf Jos lächelndes Gesicht.
Dann auf mein eigenes. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so glücklich ausgesehen hatte. Das musste schon lange her sein. Als ich mit den Fingern über meine Wangen strich, stellte ich
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