In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
Theo sich von der resoluten, etwa zehn Jahre älteren Frau hatte abschleppen lassen.
»Dir erzähl ich überhaupt nichts mehr«, sagte Theo und berichtete detailliert von dem Desaster.
»Na, das klingt doch gar nicht mal völlig hoffnungslos.«
»Danke, das wollte ich hören.«
»Immerhin hat sie gesagt, du darfst wiederkommen.«
»Immerhin«, bestätigte Theo trübselig. In seiner Brusttasche vibrierte sein Diensthandy. »Du, ich muss Schluss machen.«
»Alles klar.«
Theo fummelte das Mobiltelefon aus der Tasche. »May, was ist denn los, heute hast du doch Bereitschaft.«
»Tut mir leid, ich weiß.« Mays Stimme klang angespannt, was untypisch für sie war. »Aber ich denke, den Fall hier solltest besser du übernehmen.«
Da May nicht dazu neigte, vorschnell das Handtuch zu werfen, wusste Theo, dass es ernst war. »Okay, ich bin gleich da.«
Zehn Minuten später parkte er vor dem Bestattungsinstitut. May öffnete die Tür. »Das ging ja fix. Ich dachte, du wärst bei Hanna.«
»War ich ja auch.«
May zog eine Augenbraue hoch. Du hast’s versemmelt, sagte ihr Blick.
Die Frau, die im Büro auf ihn wartete, war schlank und perfekt frisiert. Theo schätzte sie auf Anfang dreißig. Trotzdem gruben sich bereits tiefe Kerben um ihre Mundwinkel. Sie erhob sich nervös, als Theo eintrat.
»Guten Tag, ich bin Theo Matthies.« Theo streckte ihr die Hand entgegen.
»Klasen. Sabine Klasen.«
Sie ließ sich wieder in den tiefen Ledersessel sinken, als ob ihre Kraft nicht dafür ausreichte, sich länger auf den Beinen zu halten.
Theo musterte sie rasch. Sie sah nicht aus wie in tiefer Trauer, eher zutiefst verstört.
»Es geht um meinen Mann. Sebastian. Er ist heute früh gestorben.«
»Das tut mir sehr leid.«
»Ich habe gehört, Sie übernehmen auch … schwierige Fälle?«
»Natürlich.«
»Mein Mann – er ist an einer ansteckenden Infektionskrankheit gestorben.«
Theo ahnte, was kommen würde.
»Tollwut.« Sabine Klasen rang die Hände. »Wie kann man heutzutage nur an Tollwut sterben?«
»Sebastian.« Theo lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück. »Sebastian Klasen? Ich glaube, den habe ich sogar gekannt.«
Nachdem er die Witwe hinausbegleitet hatte, blieb Theo ein paar Minuten grübelnd am Fenster stehen. Dann zog er sein Mobiltelefon heraus.
»Hadice?« Er hörte es im Hintergrund poltern. Dann war sie am Apparat.
»Diese verdammten Krücken bringen mich noch mal um.«
»Kann ich vorbeikommen? Ich würde gern was mit dir besprechen.«
»Jederzeit. Ich kann hier sowieso nicht weg und mir fällt so was von die Decke auf den Kopf.«
»Dann bis gleich.« Er legte auf und schmunzelte in sich hinein. Hadice war nach ihrer Operation immer noch krankgeschrieben und ging offenbar förmlich die Wände hoch.
Als er kurz darauf an der Tür ihrer kleinen Zweizimmerwohnung in der Mannesallee klingelte, öffnete ihm eine ältere Frau. Sie war etwa halb so groß wie er, aber doppelt so breit. Die schwarzen Augen unter dem Kopftuch musterten ihn scharf. Der Blick glich dem von Hadice. »Hadice ist krank«, teilte sie ihm mit.
»Nine, lass ihn rein«, rief die Patientin aus dem Hintergrund, »das ist ein Freund von mir.«
»Ich bin Theo«, stellte er sich vor. »Ich kenne Hadice noch aus der Schule.«
Der kühle Blick der alten Frau erwärmte sich um circa drei Grad. Womöglich doch keiner, der es auf die Unschuld ihrer Enkelin abgesehen hatte. Sie trat beiseite, sodass Theo durch den schmalen Flur in Hadices Wohnzimmer gehen konnte. Sie lümmelte auf dem Sofa, der verletzte Knöchel ruhte auf dem Couchtisch. Links und rechts von ihr lehnten griffbereit die verhassten Krücken.
»Gut, dass du kommst. Ich krieg hier noch einen Lagerkoller.«
Hadices Großmutter wieselte wenig später ins Zimmer und servierte Theo einen türkischen Mokka, dazu eine große Schüssel honigtriefenden Gebäcks. »Essen Sie! Sie viel zu dünn für erwachsene Mann!«
Hadice verdrehte die Augen. »Kannst du dir vorstellen, wie ich hier gemästet werde? Noch eine Woche und ich bin fett wie eine Stopfgans.«
Es klingelte erneut.
»Ich hab Lars auch Bescheid gesagt«, erklärte Theo.
»Noch mehr Männer?« Die Großmutter ging, um die Tür zu öffnen.
Als Erster spazierte würdevoll ein kugelrunder Mops herein. Er steuerte schnurstracks auf Hadice zu und hockte sich anbetend vor sie.
»Paul«, rief Hadice entzückt und kraulte dem Tier den dicken Schädel. Paul grinste. Lars lehnte im Türrahmen und schien sich ebenfalls
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