In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
zu freuen. Er war noch einen halben Kopf größer als der nicht gerade kleinwüchsige Theo. Sein Haar stand wie üblich wirr vom Kopf ab und seine Augen blickten liebenswürdig durch die Nickelbrille. Lars Hansen war ein Mensch, der, wo er auch auftauchte, heitere Gelassenheit verbreitete. Er war mit Hadice und Theo zur Schule gegangen und hatte im Anschluss daran einen Doktor in Philosophie gemacht, was enorm gut zu ihm passte, wie Theo fand. Inzwischen arbeitete er jedoch als Entrümplungsunternehmer. Den größten Teil seiner Zeit widmete er aber seinem Hauptgeschäft: Er schuf mit etwas Farbe und handwerklichem Geschick Kunstwerke aus Krempel.
»Komm rein und lass dich mästen«, begrüßte ihn Hadice.
Nachdem auch Lars einen Mokka bekommen hatte, sagte er: »Nu mal Butter bei die Fische, Theo.«
Und Theo erzählte.
Anschließend herrschte Stille. Hadice massierte ihre Nasenwurzel, ein Signal äußerster Konzentration. »Also gut. Was haben wir? Wir haben zwei Todesfälle, beide Male Tollwut, eine Krankheit, die hierzulande als ausgerottet gilt. Und beide haben sich offenbar an einem Fledermausbiss infiziert. Der erste Tote war Reinhold Lehmann, ein arbeitsloser Trinker, der andere Sebastian Klasen, erfolgreicher Bauingenieur mit Frau und zwei Kindern. Auf den ersten Blick haben die beiden nicht viel miteinander zu tun. Wir drei allerdings wissen, dass die beiden sich gekannt haben. Mehr noch, wir wissen, dass sie beide ausgemachte Drecksäcke waren, sofern sie sich nicht in den letzten Jahren grundlegend geändert haben. Und!« Hadice machte eine dramatische Pause. »Wir wissen, dass die beiden früher allerbeste Kumpels waren, deren Hauptvergnügen darin bestand, ihre Mitschüler zu tyrannisieren. Die Frage ist nur, kann das Zufall sein?« Sie blickte in die Runde.
»Glaub ich nicht«, sagte Theo. »Darum sitze ich ja hier.«
»Wenn das nicht alles nur ein unglaublich schräger Zufall ist, würde das bedeuten, dass ihr Tod tatsächlich etwas mit ihrem Treiben während der Schulzeit zu tun hat«, sagte Hadice.
»Du meinst, jemand rächt sich? Nach so vielen Jahren? Und dann gleich mit einem Mord?« Lars klang zweifelnd.
»Ich weiß, das klingt ziemlich unwahrscheinlich, aber trotzdem …« Theo war überzeugt davon, recht zu haben.
»Na ja, es muss ja nicht unbedingt etwas mit der Schule zu tun haben. Mal angenommen, die zwei hatten noch Kontakt. Irgend so ein Männerding, was weiß ich, gemeinsam unter irgendeiner Brücke angeln, wo die Viecher hausen. Und da haben sie sich dann beide infiziert.« Hadice blickte fragend in die Runde.
Theo schüttelte den Kopf. »Seiner Frau war der Name Reinhold Lehmann jedenfalls kein Begriff.«
»Was nicht heißen muss, dass sie nicht doch noch Kontakt hatten«, wandte Lars ein.
»Der erfolgreiche Geschäftsmann und der versiffte Trinker? Klingt irgendwie ein bisschen unwahrscheinlich, oder?« Theo grinste.
Sie versanken wieder in brütendes Schweigen.
»Ich find ja noch was ganz anderes komisch an der Sache. Ich meine, wenn mich ein Tier attackiert, dann geh ich doch damit zum Arzt. Mich hat als Kind auch mal ein Pitbull gebissen.« Hadice krempelte die Hose an ihrem gesunden Bein hoch und deutete auf ein paar nicht erkennbare Narben. »Das Erste, was ich bekommen hab, war eine Spritze gegen Tollwut.«
»Genau«, sagte Theo. »Das hat mich auch stutzig gemacht. Und es gibt noch etwas Mysteriöses an dem Fall.«
»Und das wäre?«
»Sebastian Klasen war einige Tage verschwunden. Seine Frau hatte ihn als vermisst gemeldet.«
»Ach was!« In Hadices Augen glomm etwas auf, das Theo als Jagdtrieb identifizierte.
»Man hat ihn erst aufgegriffen, als er schon halb im Delirium war. Seiner Frau zufolge hat niemand einen Schimmer, wo er so lange gesteckt hat.«
»Du glaubst, jemand hat ihn festgehalten, damit er nicht zum Arzt gehen konnte?« Lars verzog grimmig das Gesicht. »Das wäre wirklich hinterhältig.«
»Damit sieht die Sache natürlich noch mal ganz anders aus«, sagte Hadice. Sie griff zum Telefon. Sie wählte ihre alte Dienststelle in der Polizeiwache in Wilhelmsburg an.
»Lübke, Öztürk hier. Hör mal, kannst du mir sagen, wer mit der Vermisstensache Klasen befasst gewesen ist?« Sie trommelte nervös mit den Fingern auf ihrem Oberschenkel. »Wer? Ausgerechnet! Na, dann kann man nichts machen. Stellst du mich durch? Danke …« Sie schwieg einen Moment und starrte finster vor sich hin. »Markus? Hadice hier. Du, ich hab hier zwei Herren, die in
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