In sündiger Silvesternacht
werden konnte.
Aber selbst wenn er keine Möglichkeit hatte, sie zu besuchen, so hätte er sie zumindest anrufen können. Doch das hatte er nicht getan.
Irgendetwas stimmt nicht, dachte sie beunruhigt.
Als sie zu sich gekommen war und sich daran erinnert hatte, dass Nathan gefahren war, hatte sie geglaubt, dass er den Durchbruch geschafft hatte. Vielleicht hatte sie dabei etwas übersehen. Vielleicht hatte ihn der Zwang, seine Angst zu besiegen, zurückgeworfen statt vorangebracht.
Die ganzen Spekulationen führten zu nichts und verursachten ihr Kopfschmerzen. Sie schloss die Augen und versuchte, an etwas anderes zu denken, bis sie endlich einschlief.
Sofort nach dem Aufwachen am nächsten Morgen drehte sie sich um und sah zum Stuhl neben ihrem Bett hinüber. Er war immer noch leer.
Enttäuschung machte sich in ihr breit, gepaart mit innerer Unruhe. Sie verstand nicht, was da vor sich ging. Traurig richtete sie sich im Bett auf und blickte zur Tür – und da stand er.
„Du bist hier“, sagte sie etwas dümmlich. Sie wartete darauf, dass er zu ihr ans Bett kam, um sie zu küssen, aber Nathan rührte sich nicht.
„Was macht dein Arm?“, fragte er.
„Er ist okay. Ein bisschen schmerzempfindlich, obwohl er nur mit ein Dutzend Stichen genäht werden musste. Erstaunlich, nicht wahr?“
Elizabeth lächelte, doch er erwiderte ihr Lächeln nicht. All die Zweifel, die sie in den frühen Morgenstunden abgewehrt hatte, kehrten jetzt zehnfach zurück. Sie hatte sich gesagt, dass es eine Erklärung geben müsse, sich selbst ermahnt, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, aber jetzt stand Nathan hier, blickte sie kalt und distanziert an, und sie bekam es mit der Angst zu tun.
„Nate …? Was ist los?“
Da wanderte ihr Blick hinter ihn und sie entdeckte, dass ihr Koffer in der Tür stand, daneben ihre Reisetasche.
„Ich glaube, ich habe alles gepackt. Sollte etwas fehlen, schicke ich es dir hinterher“, sagte er.
„Ich verstehe nicht“, erwiderte sie. Obwohl sie es tat. Natürlich tat sie das.
„Du solltest nach Hause fahren und Weihnachten mit deiner Familie verbringen.“
„Aber … was ist mit uns?“
„Du solltest nach Hause fahren“, wiederholte Nathan.
Er fing an, ihr wirklich Angst zu machen. Der leere, leblose Ausdruck in seinen Augen. Die kalte, entschlossene Endgültigkeit in seiner Stimme.
So war er auch mit Jarvie umgegangen. Genauso kalt hatte er Jarvie aus seinem Leben verbannt. Und nun versuchte er dasselbe mit ihr.
„Was ist los, Nate? Rede mit mir. Was immer es ist, wir werden es klären.“
„Es gibt nichts zu klären. Es hätte überhaupt nicht soweit kommen dürfen.“
„Warum nicht?“
„Weil es von vornherein nicht funktionieren konnte.“
„Das stimmt nicht, Nate …“
„Ich bin ein Wrack. Mein Leben ist verkorkst. Ich hatte kein Recht, dich da mit hineinzuziehen.“
„Dein Leben ist nicht verkorkst, Nate. Du erholst Dich von einem dramatischen Trauma, ja, aber das bedeutet nicht, dass dein Leben vorbei ist. Es geht dir von Tag zu Tag besser. Die nächtlichen Schweißausbrüche haben aufgehört. Und du bist Auto gefahren, Nate. Du bist in ein Auto gestiegen und selbst gefahren! Bedeutet das nicht, dass du vor einem Wendepunkt stehst?“
„Richtig. Und als nächstes hoppeln Häschen den Regenbogen entlang. Nein, so funktioniert das nicht, Elizabeth. Lass dir das von jemandem sagen, der mit diesem Elend seit sechs Monaten lebt.“
Es lag so viel Bitterkeit und Zorn in seiner Stimme. Sie biss die Zähne zusammen. Er war vielleicht nicht in der Lage, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen, doch sie konnte es. Und sie würde ihm weiter die Lampe halten, wenn es ihm half, durch ihn hindurchzugehen.
„Ich weiß, es ist hart, was du durchgemacht hast. Aber du wirst darüber hinwegkommen. Ich glaube fest daran. Wir werden es langsam angehen lassen, Schritt für Schritt. Doch es wird dir gelingen. Wir werden es zusammen schaffen.“
„Du weißt nicht, wovon du redest. Du hast ihre Schreie nicht gehört. Du hast nicht gesehen, wie man sie in einen Leichensack gelegt hat – wie ein Stück Fleisch. Nichts wird je wieder sein wie vorher. Nichts!“
Elizabeth lehnte sich in ihre Kissen zurück. Sie hatte Nathans Angst erlebt, wusste, wie seine Albträume ihn quälten. Sie hatte beobachtet, wie er seinen Schmerz mit Alkohol betäubte. Sie wusste, dass er unter Reizbarkeit, Depressionen und Schlafstörungen litt. Sie hatte gesehen, wie er sich selbst in eine Sackgasse
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