In sündiger Silvesternacht
dir nach oben gegangen war, um dich schlafen zu legen, kam dein Großvater mit einem Scheckheft herein.“
Elizabeth starrte ihn an. „Sie haben dir Geld geboten, damit du dich von mir fernhältst?“
„Und ich habe es angenommen.“ Während er das zugab, schaute er ihr endlich in die Augen, und sie sah, wie sehr er sich schämte.
„Wie viel?“
„Zehntausend Pfund.“
„Was hast du damit gemacht?“, fragte sie mit einem Kloß im Hals.
„Das meiste habe ich vertrunken. Ich redete mir immer wieder ein, dass ich mir davon ein Boot kaufen würde oder es in einen Fonds investieren und zu deinem achtzehnten Geburtstag schicken würde. Doch ich habe es vertrunken, nach und nach. Sinnlos die Kehle hinuntergespült.“
Danach herrschte tiefe Stille. Elizabeth wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Ihr Vater hatte zehntausend Pfund dafür genommen, für immer aus ihrem Leben zu verschwinden. Er hatte seinen Anspruch auf sie verkauft.
„Jetzt weißt du’s.“ Sams Stimme klang rau. „Du weißt, was für eine Art Mann ich bin und warum ich es für das Beste hielt, mich rar zu machen.“
Er wandte sich zur Tür. Heißer Zorn stieg in Elizabeth auf, als sie beobachtete, wie ihr Vater zum Ausgang humpelte, um zum dritten Mal aus ihrem Leben zu verschwinden.
„Du glaubst, du verdienst es nicht, mich zu kennen, und deshalb gehst du. Verstehe ich das richtig?“, fragte sie.
Er blieb stehen. Obwohl sie nur sein Profil sah, wusste sie, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.
„Du bist ein richtiger Heiliger, nicht wahr? Gut, du hast einmal für Geld auf mich verzichtet, aber diesmal willst du es tun, um mich vor dir zu beschützen. Wie nobel von dir.“
Er wandte ihr sein Gesicht zu. „Willst du etwa, dass ich bleibe? Ich, ein Mann, der sein Kind verkauft hat?“
„Verdammt noch mal, du bist mein Vater! Und ich weiß nichts von dir! Was glaubst du, wie ich das finde?“
Ihre Stimme war immer lauter geworden. Eine Krankenschwester erschien besorgt an der Türschwelle.
„Ist alles in Ordnung?“
„Ja“, antworteten Elizabeth und ihr Vater wie aus einem Mund.
Sie schauten sich an. Nach einem Moment zuckte die Schwester mit den Schultern und ging weiter.
„Ich möchte wissen, woher ich komme“, fuhr Elizabeth eindringlich fort. „Ich will meinen richtigen Vater kennen.“
Sie hörte, wie ihre Stimme schwankte, und blinzelte wütend. Ihr Vater starrte sie lange an. Dann ging er zum Stuhl neben ihrem Bett. Er nahm die Krücken unter seinen Armen heraus, setzte sich aber nicht gleich hin. Er sah Elizabeth wieder an, als ob er darauf wartete, dass sie Einwände erhob. Als ob er immer noch nicht ganz fassen konnte, dass sie ihm eine zweite Chance gab.
Sie sagte nichts. Er war ihr Vater. Sie wollte eine Beziehung zu ihm aufbauen, auch wenn er nicht perfekt war.
Nach ein paar Sekunden setzte er sich endlich.
12. KAPITEL
Sie redeten bis in die frühen Morgenstunden hinein, bis Elizabeth die Augen zufielen. Sie hatte erfahren, dass ihr Vater ein sehr interessantes Leben geführt hatte, voller Abenteuer. Aber auch ein einsames Leben. Er hatte sich nie mit einer anderen Frau irgendwo niedergelassen, und sie war sein einziges Kind geblieben. Die Zwischentöne ließen erahnen, dass die Ereignisse der vergangenen dreißig Jahre immer noch schwer auf ihm lasteten.
Offenbar war er an ihrem Leben genauso interessiert wie sie an seinem. Er hörte ruhig zu, während sie seine Wissenslücken auffüllte, stellte Fragen, gab manchmal einen Kommentar ab. Als er wieder nach seinen Krücken griff, hatte sie das starke Gefühl, dass es eine Beziehung zwischen ihnen geben könnte – wenn sie beide es wollten. Sie fragte ihn nach Nathan, bevor er ging. Leider hatte er keine Informationen für sie. Nathan hatte ihn angerufen, um ihm mitzuteilen, was passiert war und wo sie sich befand, und das Gespräch beendet, ohne über etwas anderes zu reden.
Obwohl sie hundemüde war, legte sich Elizabeth auf die Seite und starrte noch lange, nachdem ihr Vater gegangen war, aus dem dunklen Fenster.
Warum ruft Nate nicht an? Warum besucht er mich nicht?
Ein unbestimmtes Angstgefühl schnürte ihr die Kehle zu, als sie über den Grund nachdachte. Vielleicht hatte er niemanden gefunden, der ihn ins Krankenhaus fahren konnte. Nur weil er in einem Notfall seine Angst besiegt hatte, bedeutete das schließlich nicht, dass er geheilt war. Posttraumatischer Stress war ein anhaltender Zustand und nichts, das auf Knopfdruck abgestellt
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