In sündiger Silvesternacht
jemand anderen verlieben. Sie würde heiraten und Kinder haben. Irgendein anderer glücklicher Kerl würde jede Nacht mit ihr zu Bett gehen, mit ihr alt werden, sie trösten, wenn sie es brauchte, und sie zum Lachen bringen, wenn sie traurig wäre, sie zur Weißglut treiben, sie herausfordern und sie bewundern.
Er atmete schwer durch.
Oh Gott, er wollte dieser verdammte Kerl sein. Er wollte in ihren Armen aufwachen und ihren warmen Körper an seinem spüren. Er wollte sie dabei beobachten, wie sie aufblühte und Dinge über sich selbst entdeckte, die sie bisher wegen ihrer zurückhaltenden und pflichtbewussten Art nicht zugelassen hatte. Er wollte das Glück, das sie so freigiebig, so offen anbot.
Er wollte eine Zukunft voller Hoffnung und Möglichkeiten, nicht dieses Leben voller Bedauern und Furcht und Einsamkeit.
Kaum hatte er sich seine eigenen Wünsche eingestanden, kamen jedoch die alten Schuldgefühle wieder hoch. Wie könnte er sich für so viel Glück öffnen, wo Olivia nicht mehr da war? Wie konnte er sich erlauben, ohne sie erfüllt zu leben? Wäre es dann nicht beinahe so, als ob ihr Tod ihm nichts bedeutete?
… dass du dich vom Leben abwendest, bringt dir Olivia nicht zurück.
Nathan schloss die Augen. Er wusste, dass Elizabeth recht hatte. Olivia war tot. Er vermisste sie wahnsinnig, er würde sie wahrscheinlich sein Leben lang jeden einzelnen Tag wahnsinnig vermissen, aber Schuldgefühle, Leiden und Selbstgeißelung, und wären sie noch so groß, würden sie nicht zurückbringen.
Entscheidend war, dass sie tot war. Er aber lebte.
Und er wollte so nicht weiterleben. Er wollte nicht zum Opfer seiner eigenen Erinnerungen werden. Er wollte nicht zulassen, dass Furcht sein Leben bestimmte.
Doch vor allen Dingen wollte er nicht, dass Elizabeth ging. Innerhalb weniger Wochen hatte sie sein Leben umgekrempelt. Er brauchte sie. Er wollte sie. Er liebte sie. Sollte er deswegen ein schlechter Bruder und schwacher, egoistischer Kerl sein, so sei es drum.
Er wählte das Leben. Er wählte Lizzy.
Wenn sie ihn noch wollte.
Im Bruchteil einer Sekunde entschloss er sich, einen Herzschlag später war er aus der Tür. Er fing an zu laufen. Er würde zum Pub zurückkehren, Trevor nochmals um sein Auto bitten. Elizabeth würde noch im Krankenhaus sein. Und falls nicht, würde er sie aufspüren. Wo auch immer sie hingegangen sein mochte.
Seine Schritte gerieten ins Stocken, als er sah, dass ein verbeulter Wagen mit Allradantrieb vor seinem Haus einparkte. Eine Frau glitt vorsichtig vom Beifahrersitz, ein Mann mit Krücken wich ihr schützend nicht von der Seite.
„Lizzy“, rief Nathan aus und blieb wie angewurzelt stehen.
Sie hob den Kopf. Der Blick, den sie ihm zuwarf, war die reinste Kampfansage.
„Bemüh dich nicht, mir zu sagen, dass ich fortgehen soll, Nathan, denn ich werde nirgendwo hingehen. Es hat mich mein halbes Leben gekostet herauszufinden, was ich will, und ich werde jetzt keinen Deut davon abweichen. Egal, was du sagst, ich bleibe, und ich werde dich weiter lieben, und du kannst nichts dagegen tun.“
Mit drei großen Schritten war er bei ihr. Dann zog er sie an sich, lehnte seine Wange an ihren Scheitel und atmete ihren Duft ein.
Elizabeth verharrte ganz still in seinen Armen. Er küsste ihr Haar. Langsam entspannte sich ihr Körper, und sie schlang ihren gesunden Arm um ihn.
„Das bedeutet jetzt hoffentlich das, was ich vermute“, murmelte sie mit gedämpfter Stimme an seiner Brust.
Er lächelte leicht.
„Das war jetzt dein Stichwort, damit du etwas zur Bestätigung sagst. Für den Fall, dass du nicht von selbst darauf kommst.“
Er löste sich nur so weit von ihr, dass er ihr ins Gesicht sehen konnte. „Ich liebe dich.“
Sie presste die Lippen zusammen. Er umfasste ihr Gesicht und strich mit seinem Daumen über ihren Wangenknochen.
„Habe ich meinen Einsatz verpatzt?“, fragte er.
„Nein, es war perfekt. Ich dachte nur, dass ich dich zu Boden zwingen müsste, bevor ich dich soweit habe, dass du es zugibst.“
„Ich liebe dich, Lizzy. Ich will dich. Ich möchte, dass es funktioniert. Ich weiß, es war hart. Und wahrscheinlich ist es noch lange nicht vorbei. Ich werde wieder zu meinem Therapeuten gehen, meine Ärztin um Medikamente bitten. Ich werde tun, was ich kann. Aber …“
Sie legte ihre Finger an seine Lippen. „Meine Liebe kümmert sich nicht um Wenn und Aber. Sie ist einfach da. Was auch immer passiert, wir werden damit fertig.“
Sie sah ihm in die Augen,
Weitere Kostenlose Bücher