In sueßer Ruh
untersuchst?«
Sie lächelte ihn an. »Ich denke, das weißt du.«
Er errötete. »Nicht das.«
»Ich suche Pilze.«
»Pilze? Im Wald, meinst du?«
»Genau.«
»Hm. Und du isst sie?«
Sie lächelte ihn kokett an. »Hin und wieder. Wenn sie nicht giftig sind.«
»Und woran erkennst du den Unterschied?«
»Das wüsstest du wohl gerne.«
Er lachte.
»Nein, ernsthaft, ich lerne viel«, sagte sie.
»Hätte ich mir denken können, dass du dir ein Hobby suchst, das Lernen erfordert.«
»Man muss alles lernen, um es richtig zu machen.«
Sogar Sex, dachte er und spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg.
»Und wieso Pilze?«
Sie fuhr mit dem Finger über den Rand ihres Bierkrugs. Er stellte sich vor, es wäre stattdessen seine Haut.
»Weil Pilze die rätselhaftesten Organismen überhaupt sind. Sie sprießen über Nacht, wenn wir schlafen, und sind plötzlich da.« Sie nahm einen großen Schluck von ihrem Bier. Die Haut ihrer Kehle wirkte feucht in der Nachmittagssonne, die durchs Vorderfenster fiel. »Es ist wie in diesem englischen Märchen, Hans und die Bohnenranke . Nachdem Hans’ Mutter die Bohnenkerne aus dem Fenster geworfen hat, gehen sie schlafen. Und als sie am nächsten Morgen aufwachen, haben sie dieses Wunderding ausgetrieben – diese magische Bohnenranke. Pilze sind genauso. Geheimnisvoll, verstohlen, ihre Myzelien keimen unterirdisch und warten geduldig auf den nächsten warmen Regen. Es ist jedes Mal wie ein Zaubertrick.«
Sie beugte sich vor, legte die Ellbogen auf den Tisch und berührte mit einem davon fast ihren Bierkrug. Es bestand die reelle Gefahr, dass sie ihn herunterstieß. Lee überlegte, etwas zu sagen, entschied sich dann aber dagegen. Er griff hinüber und schob den Krug einige Zentimeter von ihrem Arm weg.
Sie lächelte. Lee hatte sich noch nicht an das geradezu beängstigende Weiß ihrer Zähne gewöhnt, fast wie aus einer Zahnpastawerbung.
»Wenn ich durch den Wald gehe, spüre ich dieses Rätselhafte und diese Energie, die wir nie vollständig ergründen können – diese Naturgeheimnisse, die sich weder steuern noch vorhersagen lassen. Ich glaube, deshalb mag ich auch das Wetter. Die Natur hat ein paar Tricks im Ärmel, die selbst unsere fortschrittlichste Technik nicht enträtseln kann.«
Sie beugte sich noch ein wenig weiter vor. Lee konnte ihr Shampoo riechen – oder war es die Pflegespülung? –, ein schwacher Duft von Lavendel.
»Irgendwann mal will ich einen Tornado sehen«, flüsterte sie, als wäre es ein schmutziges Geheimnis.
»Wirklich? Warum?«
»Es hat etwas mit der Erregung und der Ehrfurcht zu tun, die ich der rasenden Natur gegenüber empfinde.«
»Hättest du keine Angst?«
»Schon, aber ich wäre eher erregt als verängstigt. Obwohl: Ich kann mich täuschen – vielleicht renne ich ja auch einfach davon wie ein verschrecktes Kaninchen.«
Lee lachte. »Nicht du.«
»Wer weiß schon, wie er angesichts von Gefahr reagiert?«
»Auch wieder wahr.«
Sie sah auf ihre Armbanduhr. »Es ist Zeit, nach Philadelphia zurückzufahren.« Sie trank den Rest ihres Biers aus. »Ich denke, ich hüpfe einfach in die U-Bahn.«
»Am Astor Place kannst du die IRT nehmen.«
»Die was?«
Die drei früher eigenständigen U-Bahn-Gesellschaften hatten sich schon lange zusammengeschlossen und hießen jetzt nicht mehr BMT , IRT und IND . Doch für Lee waren die Linien East Side und Seventh Avenue – die älteste Linie der Stadt – noch immer die IRT .
»So haben wir die East-Side-Züge immer genannt«, erklärte er.
»Ach so. Ich nenne sie einfach die grüne Linie.«
»Ich begleite dich«, sagte er und griff nach ihrer Tasche.
Sie gingen die Third Avenue hoch, über die die Autokolonne brauste wie bei einem durchgedrehten Dragster-Rennen und jedes Mal, wenn die Ampel umsprang, kreischend zum Stehen kam.
Während sie so im zarten Septemberlicht dahinschlenderten, hatte Lee das Gefühl, unsichtbaren Dingen ganz nahe zu sein: unscharfen, undeutlichen Formen, die durch Träume schwimmen – stumpfe, amorphe Schatten, die dicht unter der Oberfläche der realen Welt aus Blut und Beton waberten. Als sie die U-Bahn erreichten, sah er Kathy an, die auf der obersten Stufe stand mit einem Gesicht wie die aufgehende Sonne.
»Na dann, tschüss«, sagte sie.
»Tschüss«, erwiderte er und küsste sie.
»Bis nächste Woche!«, rief sie, während sie die Treppe hinuntersprang. Er sah ihrer verschwindenden Gestalt nach und vermisste sie jetzt schon.
Als er in seine
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