In sueßer Ruh
das sind ja viele Frauen in New York.«
Dr. Williams lächelte, ihre großen Zähne waren weiß und absolut ebenmäßig. »Das stimmt allerdings. Noch etwas?«
»Sie war gebräunt … ziemlich stark.«
»Eine Chemotherapie kann manchmal den Hautton dunkler machen. Meinen Sie, dass es das war?«
»Ich weiß nicht – vielleicht.« Er wurde nicht schlau daraus, warum sie so viel Zeit damit verbrachten. Gewöhnlich unterstützte Dr. Williams nicht, was er inzwischen als Ablenkungsmanöver betrachtete. Dafür musste es einen Grund geben – aber welchen? Was sah sie, das er selbst nicht sah?
»Hat sie Sie an jemanden erinnert?«, fragte sie.
»Wie meine Schwester oder meine Mutter, meinen Sie?« Jetzt kommen wir auf den Punkt, dachte er.
»Nicht unbedingt. Überhaupt an irgendwen.«
Er veränderte seine Sitzposition. »Warum fragen Sie das?«
»Nur so. Es lohnt sich aber vielleicht, Ihrer Reaktion auf sie nachzugehen.«
Er dachte darüber nach. »Sie hat mich an mich selbst erinnert.«
Dr. Williams neigte den Kopf zur Seite. »Inwiefern?«
Wie sollte er es ausdrücken? Selbst bei Dr. Williams war es schwierig, das Erleben extremer psychischer Not in Worte zu fassen.
»Sie wurde von ihrem eigenen Unglücklichsein aufgefressen.«
»Inwiefern ist das wie bei Ihnen?«
»So ging es mir auch – jedenfalls eine Zeit lang.«
»Und jetzt?«
»Geht es mir besser. Nicht hundertprozentig gut, aber besser.«
»Das freut mich. Sie sehen noch immer bekümmert aus. Hat es mit Ihrem neuen Fall zu tun?«
»Gewissermaßen. Es ist etwas an die Presse durchgesickert, und ich meine zu wissen, wer dahintersteckt.«
Sie lächelte. »Sie schränken Ihre Vermutung ein – Sie wollen denjenigen also nicht verdächtigen, richtig?«
»Nein. Genau genommen hoffe ich, dass nicht sie es ist, befürchte es aber.«
»Und um wen handelt es sich?«
»Susan Morton.«
Sie hatten zuvor schon häufiger über sie gesprochen – über ihre Habgier und Chucks Vernarrtheit in sie, aber auch über Lees Misstrauen ihr gegenüber.
»Werden Sie es Chuck sagen?«, fragte Dr. Williams und griff erneut nach ihrem Eistee.
»Ich weiß nicht, wie. Was, wenn ich mich irre?«
»Gutes Argument. Es könnte Ihre Freundschaft für immer zerstören – ganz zu schweigen von Ihrem beruflichen Verhältnis.«
»Ich muss abwarten, bis ich einen Beweis habe – wenn ich je einen kriege. Sie ist sehr –«
»Berechnend?«
»Unter anderem.«
Er schaute aus dem Fenster in das weiche, an Kraft verlierende Septemberlicht. Vor der Garage gegenüber machte ein Handwerker in einem fleckigen weißen T-Shirt eine Zigarettenpause und sah sich die endlose Parade der Fußgänger auf dem University Place an. Bald würde es Herbst, und mit den kürzer werdenden Tagen würde sich auch ein stärker werdendes Empfinden für das Beständige, Ewige einstellen.
Das war vielleicht ein Paradox, doch er fühlte sich inzwischen deutlich wohler mit Paradoxen – etwa mit seiner Einsicht, in Augenblicken tiefster Not und Verzweiflung oft spürbar näher daran zu sein, selbst die Ewigkeit zu streifen. Der Tod, ob physisch oder spirituell, hatte etwas Umfassendes, Ernstes, Heiliges.
»Woran denken Sie?«
»Den Tod.«
Sie nickte, unerschütterlich wie immer. Lee empfand eine Mischung aus Erleichterung und leiser Verärgerung über ihre professionelle Reserviertheit. Herrgott, dachte er, konnte diese Frau nicht einmal aus sich herausgehen? Aber er wusste, dass dies nur seine alte Sehnsucht war – nach der idealen Mutter, der Mutter, die er nie gehabt hatte. Und er wusste, dass ein bestimmtes Maß an professioneller Distanz unerlässlich für die therapeutische Beziehung war. Andernfalls würde der Patient befürchten, den Therapeuten mit seinen Bedürfnissen zu ersticken, genau wie er sich als Kind vor der emotionalen Unsicherheit der eigenen Eltern gefürchtet hatte.
»Und was genau über den Tod?«
»Dass er dem Leben seine Bedeutung verleiht. Die Gesamtheit von Gegensätzen und all das … und dass jede Kultur ihre eigenen Mythen dazu hat.«
»Wie zum Beispiel?«
»All seine Varianten in der christlichen Tradition. Tod und Wiederauferstehung – solche Dinge.«
»Und das können Sie auf sich beziehen?«
»Ja. Nicht den Tod eines übernatürlichen Wesens, Gottes Sohn, aber ein Teil von mir ist gestorben. Ich glaube, ich hatte einen spirituellen Tod – und eine Wiedergeburt.«
Sie lächelte. »Vermissen Sie Ihr altes Ich?«
»Manchmal.«
Er wusste nicht, was sein
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