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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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diese Erkältung noch abwenden zu können – krank werden war das Letzte, was er im Augenblick brauchen konnte. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, eine nervöse Angewohnheit von ihm. Es war acht Uhr. In der Regel war er schon früher im Revier, aber der Verkehr im Lincoln-Tunnel war an diesem Morgen schlimmer gewesen als sonst. Ein forsches Klopfen an der Bürotür ertönte, und Sergeant Ruggles steckte seinen kahlen Schädel hindurch.
    »Ja, Ruggles?«
    »Ich bitte um Entschuldigung, Sir, aber ich habe einen dringenden Anruf von Captain Cardinale vom 47. Revier in der Leitung.«
    »Gut, stellen Sie ihn durch.«
    »Selbstverständlich, Sir.«
    »Und, Ruggles –«
    »Ja, Sir?«
    »Hören Sie auf, sich zu entschuldigen.«
    »Ja, Sir – Verzeihung, Sir. Ganz recht, Sir.«
    Die rötliche Gesichtsfarbe des Sergeants wurde einen Tick dunkler. Er zog sich aus der Tür zurück und machte sie hinter sich zu.
    Chuck sah auf das blinkende rote Licht auf seinem Telefon, das ihm zuzwinkerte wie ein böser Blick. Zum 47. Revier in der Bronx gehörten der Zoo, der Botanische Garten und der Woodlawn-Friedhof. Morton legte großen Wert darauf, so viele Revierleiter wie möglich zu kennen, und George Cardinale war ein verlässlicher, kompetenter Beamter, der kürzlich nach einem Einsatz in Los Angeles wieder in den Osten zurückgekommen war. Trotzdem: Warum auch immer er anrief, es konnte nichts Gutes bedeuten.
    Morton nahm den Hörer ab. »Hallo, George. Was gibt’s?«
    »Einer meiner Leute hat gerade einen Eins-acht-sieben gemeldet. Junge Frau, noch nicht lange tot. Die Totenstarre setzte gerade erst ein.« Eins-acht-sieben war der Polizeicode für Mord, obwohl er mehr in Kalifornien als in New York verwendet wurde. Cardinale hatte einige seiner Westküstengewohnheiten in den Osten mitgebracht. Sein Jargon mochte nach Los Angeles riechen, sein Akzent war reinstes New Jersey.
    »Wo hat man sie gefunden?«, fragte Chuck und rührte in seinem Tee.
    »Woodlawn. Sie wurde auf einem der Gräber abgelegt. Ich dachte, das sollten Sie schnellstmöglich erfahren.«
    »Scheiße«, murmelte Chuck.
    »Da ist noch was, das Sie wissen sollten.«
    »Und was?«
    »Sieht so aus, als hätte man ihr das gesamte Blut abgelassen.«
    »Mein Gott.«
    »Das ist wieder euer Typ. Wie wird er noch genannt – der Van-Cortlandt-Vampir?«
    »Ich schicke mein Team rüber.«
    »Leonard Butts leitet die Ermittlungen in diesem Fall, oder?«
    »Ja.«
    »Komischer kleiner Kauz. Aber ein guter Bulle, hab ich gehört.«
    »Da haben Sie richtig gehört. Hören Sie, George, ich muss meine Jungs zusammentrommeln.«
    »Schicken Sie sie aufs Revier, Sergeant Quinlan bringt sie dann zum Fundort. Wir rühren nichts an, bis sie da sind.«
    »Danke, George.«
    »Lassen Sie mich wissen, wenn ihr noch irgendwas anderes braucht.«
    »Danke, mach ich.«
    »Schnappen wir uns diesen Kerl, Chuck.«
    »Ja«, erwiderte Morton und legte auf. Ja, genau. Er nippte an seinem Tee, aber er war schon kalt.

KAPITEL 22
    Der Woodlawn-Friedhof erstreckte sich über hundertsechzig idyllische grüne Hektar in der Bronx. Eingeklemmt zwischen zwei wichtigen Highways – dem Bronx River Parkway im Osten und der I-87 im Westen –, war er eine eindrucksvolle Parklandschaft. Sanfte Hügel und breite Straßen waren flankiert von mächtigen alten Eichen und Ahornen, und auf den Grünflächen standen einige der bemerkenswertesten Grabmäler und Mausoleen des Landes. Abgesehen vom entfernten Verkehrsgebrumme, hatte Woodlawn sich die ländliche Pracht seiner Ursprünge im 19. Jahrhundert erhalten. Das stattliche Gelände beschwor die Vergangenheit des Stadtbezirks als privates Ackerland herauf, das einst dessen Namenspatron Jonas Bronck, einem wohlhabenden schwedischen Einwanderer, gehörte.
    Lee Campbell und Detective Leonard Butts betraten den Friedhof durch das Jerome Avenue Gate, ein eindrucksvolles neugotisches Bauwerk aus behauenem Stein und Schmiedeeisen, das imposant und ehrwürdig die Qualität und die Stimmung für den gesamten Ort vorgab. Lee war nicht zum ersten Mal in Woodlawn. Während seiner Depression hatte er Trost darin gefunden, zwischen den Gräbern und Grabsteinen herumzulaufen.
    Seit Lauras Tod hatte er versucht, sich vorzustellen, wie das war: tot sein. Dafür hatte er sich angewöhnt, genauso leb- und teilnahmslos zu werden wie die vertrockneten Blätter, die unter seinen Füßen raschelten, während er zwischen den Grabmälern der Toten umherschweifte. Er stellte sich seine

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