In sueßer Ruh
gehörte ihm der Laden. »Umgeben von nackten Frauen und von einem Typ namens Abelard bedient zu werden. Ich schwöre bei Gott, dass er wahrscheinlich den Namen gewechselt hat, bloß um hier zu arbeiten. Der Akzent ist auch nachgemacht, soviel ich weiß.«
Lee sah sich um, bevor er sich setzte. Er wollte sichergehen, dass niemand in Hörweite war.
»Ich wollte mal nachsehen, wie es dir geht.«
»Prima. Mir geht’s prima. Aber Sie haben doch nicht den weiten Weg gemacht, um herauszufinden, wie’s mir geht«, meinte François und nahm sich eine Olive aus einem Schüsselchen auf dem Tisch. »Was hat sie Ihnen erzählt?«
»Wer?«
François warf den Olivenkern in ein weißes Auflaufförmchen neben seinem Brotteller. »Oh Mann, spielen Sie keine Spielchen mit mir.«
Ein Kellner in einem knappen weißen Jackett erschien am Tisch mit einem Getränk in einem Manhattan-Glas. »Wie immer, Monsieur François«, sagte er und stellte es vor den Jungen.
»Danke, Louis«, sagte François und nahm einen Schluck. »Perfekt, wie immer.«
Der Kellner strahlte. Er war klein, stämmig und kahl, ein Eunuch im Smoking.
»Ist das ein Manhattan?«, erkundigte sich Lee.
François lächelte und nahm noch einen Schluck. »Was sonst? Wollen Sie auch einen?«
»Klar.«
»Kommt sofort, Monsieur«, sagte der Kellner und eilte davon.
François beugte sich zu Lee. »Kommen Sie schon, Mann. Ich weiß, dass Flossie Sie angerufen haben muss, sonst wären Sie nicht hier.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte Lee, entschlossen, sie so lange wie möglich zu decken.
»Weil ich sie kenne. Sie lässt mich keine Sekunde in Ruhe, flippt aus und ruft wen an. Das ist echt lästig«, fügte er hinzu, konnte jedoch seine Genugtuung nicht verheimlichen. Offensichtlich war er über Flossies Besorgnis mehr erfreut als wütend. Armer Kerl, dachte Lee. Sie war vermutlich der einzige Mensch, der sich wirklich um ihn kümmerte.
»Und wenn sie mich angerufen hätte?«, sagte Lee. »Würde das was ausmachen?«
»Spielen Sie hier nicht den Anwalt, okay? Ich frage bloß.«
Der Kellner kam mit Lees Drink zurück, und François bestellte sich das Porterhouse-Steak mit Pommes frites, während Lee um einen Salat bat.
»Wenn Flossie mich angerufen hat, dann weil sie sich Sorgen um dich macht«, sagte Lee. »Und darum, was du vorhast.«
»Und das wäre?«
»Sag du es mir.«
François zuckte mit den Achseln und nahm sich noch eine Olive. Den Kern spuckte er aus.
Als das Essen kam, brummte er »Das ist Kaninchenfutter, Mann!« mit Blick auf Lees Salat und schob sich die Hälfte eines Butterbrötchens in den Mund. Für ein Kind aus reichem Hause, dachte Lee, hatte er ziemlich schlechte Tischmanieren. »Wissen Sie«, sagte François und verteilte Steaksoße über seinem Fleisch, »meine Schwester wird von so einem Psycho ermordet, und keiner unternimmt was. Dann wird noch ein Mädchen umgebracht, und ich denk mir: Warum schnappt ihr Kerle diesen Drecksack nicht?«
»Ich verstehe, wie du dich fühlst.«
»Behandeln Sie mich bloß nicht so gönnerhaft, okay? Ich hab dieses Psychogequatsche dicke! Hier geht’s nicht darum, wie ich mich fühle – hier geht’s darum, was da draußen nach wie vor abläuft! Wie viele Mädchen müssen denn noch sterben, bis ihr Kerle das auf die Reihe kriegt?«, sagte er und griff über den Tisch nach der Meerrettichsoße.
»Glaubst du, wir täten nicht unser Bestes?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass wir genauso frustriert sein könnten wie du?«
François spießte ein Stück Steak auf die Gabel und schob es sich in den Mund. »Sie können nicht wissen, wie ich mich fühle. Sie haben nicht Ihre einzige Schwester an einen – o Scheiße, Mann, tut mir leid. Ich hab’s vergessen.«
Lee schaute zur Seite. »Schon gut.« Er wollte nicht darauf eingehen, nicht hier in diesem Restaurant und gegenüber diesem Jungen.
»Himmel, es tut mir wirklich leid. Wie lange ist es her? Hat man den Kerl erwischt?«
»Es ist sechs Jahre her, und nein, man hat ihn nicht erwischt.«
»Du meine Güte!« François kaute sein Steak und ließ die Gabel über dem Teller baumeln. »Das ist heftig, Mann, echt heftig.«
»Also weiß ich, wie du dich fühlst.«
»Schön, Sie wissen also, wie ich mich fühle. Inwiefern trägt das dazu bei, den Kerl zu schnappen?«
Auf diese Frage hatte Lee keine Antwort. Er sah aus dem Fenster in das gedämpfte Septemberlicht und kam sich vor, als jagten sie ein
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