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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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Gespenst.

KAPITEL 40
    Am Ende gelang es Lee nicht, irgendeine konkrete Information aus François herauszuquetschen. Der Junge hatte ihm zwar versprochen, nichts Gefährliches oder Ungesetzliches zu unternehmen, trotzdem glaubte er ihm nicht. Seine Wut war buchstäblich mit Händen zu greifen, und er weigerte sich zu wiederholen, was er zu Flossie gesagt hatte. Lee gefiel der Gedanke nicht, sie anzurufen und danach zu fragen, was genau François gesagt hatte, aber er spürte, dass der Junge ein Pulverfass war.
    Am nächsten Morgen kam Lee früh im Revier an. Der allzeit tüchtige Ruggles teilte ihm mit, Chuck stecke mal wieder bei einem Termin in Downtown, und so vertrieb er sich die Zeit damit, in Mortons Büro die Beweislage zu sichten. Beide Mädchen waren eindeutig anderswo als an den Fundorten getötet worden, es gab jedoch Hinweise, die man analysieren konnte – die Positionierung der Leichen, Details der Fundorte, die Laborberichte.
    Er betrachtete gerade eine Aufnahme vom Woodlawn-Friedhof, als energisch an die Tür geklopft wurde. Er machte auf, und auf dem Flur stand Susan Morton mit ihrem kaum sichtbaren Lächeln auf den Lippen. Er dachte immer, sie versuche wie die Mona Lisa auszusehen, und stellte sich vor, wie sie vor dem Spiegel übte. Sie trug einen weißen Rüschenrock mit schwarzen Tupfen und eine eng anliegende schwarze Bluse. Über die Schultern hatte sie eine maßgeschneiderte Jacke geworfen, und sie hielt ein winziges, ebenfalls schwarz getupftes Täschchen in der Hand. Insgesamt erinnerte sie an eine alternde Debütantin auf einer Vogue -Doppelseite.
    »Schön, schön, wie nett, dich hier zu treffen«, sagte sie affektiert, obwohl ihr Ton vermuten ließ, dass er genau derjenige war, den sie erwartet hatte anzutreffen. »Darf ich reinkommen?«, fragte sie, als er keine Anstalten machte, aus dem Weg zu treten.
    Er öffnete die Tür ganz und ging ans Fenster, dann drehte er sich um, um ihr entgegenzusehen. Sie war nicht die Art Mensch, der er gern den Rücken zukehrte.
    »Sagst du denn gar nicht Hallo?«, schmollte sie und zog eine Schnute, sodass sich das Grübchen auf ihrer linken Wange reizend kräuselte. Er musste zugeben, sie war imponierend – selbst eine Brüskierung konnte sie in eine Gelegenheit zu flirten und zur Selbstdarstellung verwandeln.
    »Hallo, Susan«, antwortete er und versuchte, möglichst neutral zu klingen. »Ich gehe Chuck holen.«
    »Ach, wozu die Eile?«, sagte sie und ließ sich mit raschelnden Röcken und in einer Wolke aus Teerosenduft hinter dem Schreibtisch nieder.
    »Hat er dich erwartet?«
    »Eigentlich nicht. Ich dachte, ich schau einfach mal vorbei – kleine Überraschung, weißt du.«
    »Er möchte bestimmt gern erfahren, dass du hier bist«, meinte er mit der Hand auf der Klinke.
    »Warte nur einen Moment«, sagte sie.
    Sein Herz pochte heftig, und er drehte sich um, halb damit rechnend, sich windende Schlangen aus ihrem Kopf wuchern zu sehen. Aber natürlich war sie so schön und perfekt frisiert wie immer.
    »Was ist?«, fragte er und dachte, sie sei im Begriff zu beichten, dass sie die Einzelheiten des Falls an die Medien weitergegeben hatte.
    Susan legte den Kopf auf die Seite und sah ihn durch ihre langen, dunklen falschen Wimpern an. Sie war die einzige Frau, mit der er je zusammen war, die falsche Wimpern trug. Sie ließ ihren Zeigefinger über die Zunge schnellen, als wollte sie die Seiten eines Buchs umblättern, dann richtete sie ihn auf ihn.
    »Du bist doch Schotte, richtig?«
    »Meine Vorfahren, ja.«
    Die Alarmglocken schrillten in seinem Kopf. Das wusste sie doch schon – wieso fragte sie ihn danach?
    »Und wenn du deinen Kilt trägst, bist du dann blank?«
    Wider besseres Wissen fragte er: »Was soll das bedeuten?«
    »Dass du unterm Kilt nichts … deine nackigen Dinger baumeln lässt.«
    Er spürte, wie ihm Hitze ins Gesicht stieg, und wandte sich ab, überzeugt, dass er errötete.
    »Nein«, sagte er in möglichst ausdruckslosem Ton.
    »Schade. Hätte zu gerne gewusst, wie sich das anfühlt, vor allem wenn’s kalt ist.«
    Er drehte sich wieder zur Tür um und verließ den Raum. Hinter sich konnte er ihr glockenhelles Lachen hören und dachte daran, dass dieser Klang einmal die Macht gehabt hatte, ihn zu berühren.
    Sergeant Ruggles war auf seinem Posten, höflich wie immer.
    »Was kann ich für Sie tun, Sir?«, sagte er und sah vom Dienstplan auf. Lee hatte das Revier noch nie so aufgeräumt erlebt. Das Anschlagbrett war strukturiert,

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