In tiefster Dunkelheit
hier fertig«, verkündete Jess und stieß ihn zur Seite, um hinauszustürmen.
Dan öffnete den Mund, aber Detective Wells winkte ab. »Kein Problem.« Sie drückte sich eilig an ihm vorbei und verschwand in einer der Kabinen.
Als die Kabinentür zuklickte, kam Bewegung in ihn. Hastig versuchte er zu Jess aufzuholen. Wells konnte er den Vorfall ein andermal erklären. Er wollte gar nicht darüber nachdenken, zu welcher Schlussfolgerung sie ohne Zweifel gelangt war.
»Das
Holiday Inn
reicht mir«, sagte Jess, während sie mit langen Schritten zurück zum Besprechungsraum strebte. »Es sei denn, du hast irgendwo anders etwas reserviert.«
Zu seinem Glück hatten die anderen den Raum bereits verlassen. Sie würde seine Entscheidung sicher nicht begeistert aufnehmen, und er wollte unter allen Umständen vermeiden, dass die anderen Wind von eventuellen Unstimmigkeiten zwischen ihm und Jess bekamen.
»Kein Hotel.« Er wappnete sich für ihren Widerspruch, fest entschlossen, nicht klein beizugeben.
Sie war gerade dabei, die Pinnwand leer zu machen, jetzt hielt sie inne. »Willst du mir etwa sagen, dass es in dieser Stadt kein einziges freies Hotelzimmer mehr gibt? Was ist es diesmal für ein Kongress? Mary Kay oder Tupperware? Mit einer halben Stunde Fahrt ist sicher noch etwas zu finden.« Sie schüttelte den Kopf und fuhr fort, die Fotos und das andere Material von der Tafel zu klauben und in ihrer riesigen Handtasche zu verstauen.
Es war eigentlich mehr ein Gepäckstück als eine Handtasche. Was zum Teufel trug sie da alles mit sich herum? Als er nicht gleich antwortete, sah sie auf und blickte ihn erwartungsvoll an.
»Was wäre ich denn für ein Freund, wenn ich dich in ein Hotel stecken würde?« Den spöttischen Ton schlug er vor allem an, um die Unsicherheit zu überspielen, die ihn nun wegen seiner überhasteten Entscheidung befiel. Vielleicht wäre ein Hotel doch die klügere Wahl gewesen. »Meine Eltern sind anlässlich ihres Jahrestags für ein Weilchen nach Vegas gefahren, und ich weiß, dass es ihnen sehr lieb wäre, wenn du dich bei ihnen wie zu Hause fühlst.« So, nun war es raus. Und sie hatte nicht einmal versucht, ihn zu unterbrechen. War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Je länger sie dastand und ihn anstarrte, desto mehr schwante ihm, dass er ins Fettnäpfchen getreten war. Konnten sie denn keine Freunde sein, nur weil sie mal ein Liebespaar gewesen waren?
Auf einmal zuckte sie die Achseln, als wäre sein Angebot jetzt erst zu ihr vorgedrungen. »Okay.« Sie wuchtete sich ihre Tasche auf die Schulter und runzelte dann die Stirn. »Weiß denn deine Mutter, dass ich in
ihrem
Haus wohne?«
Sie gab sich zwar gelassen, doch wie bei den Profilen, die sie erarbeitete, war auch das Motiv für diese Frage eindeutig. Zwanzig Jahre, und Jess hasste seine Mutter immer noch. »Meine Mutter würde es nicht anders haben wollen.«
Wenn sie davon wüsste
.
Jess kniff argwöhnisch die Augen zusammen. »Du wohnst aber nicht da, oder?«
Er lächelte. Es fühlte sich eher an wie ein Zucken. Wenigstens wusste er jetzt, was sie von ihm hielt. »Nein.« Er deutete zur Tür. »Gehen wir, Agent Harris.«
4
Mountain Brook Methodistenkirche, 20.15 Uhr
»Das ist Reanne Parsons Mutter.« Detective Wells zeigte auf eine zierliche Frau in weißer Bluse und rosafarbenem Rock. »Ihr Vater ist nicht gekommen.«
Jess musterte die Frau, die sich neben dem extra für den Anlass errichteten Podium angeregt mit Chief Patterson unterhielt. Mrs Parsons war klein und zart, so ganz anders als ihre große, athletische Tochter Reanne. Ihr rotes Haar war heller, fast blond. Sie trug es altmodisch hochtoupiert. Der Rock reichte ihr bis weit über die Knie, und ihre Bluse hatte lange Ärmel, ungeachtet der Tatsache, dass es draußen immer noch über neunundzwanzig Grad waren.
»Warum ist ihr Mann nicht mitgekommen?« Aus Trauer vermutlich. Aber dies war immerhin ein Gottesdienst für seine vermisste Tochter und drei weitere Mädchen. Um öffentlich Glauben und Stärke zu demonstrieren, in der Hoffnung, dass irgendwer, der vielleicht etwas von einem oder sogar mehreren der vermissten Mädchen gesehen oder gehört hatte, mit neuen Informationen aufwartete. Seltsam, dass der Mann sich hier nicht zeigte.
»Einer von Pattersons Deputys meinte, er hat gehört, wie die Frau sagte, ihr Mann wäre sehr krank. Dies ist die zweite Tragödie, die die Familie dieses Jahr heimsucht. Bei den Tornados im April haben sie alles
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