In Todesangst
verschwamm alles vor meinen Augen.
»Tut mir leid«, sagte er. »So war das nicht gemeint. Aber wenn die Polizei Däumchen dreht, müssen wir eben jemanden mit Nachforschungen beauftragen.«
»Ich tue doch schon alles Menschenmögliche«, sagte ich. »Ich kümmere mich um die Website, klappere die Gegend ab, bin zum x-ten Mal in dem Hotel gewesen und …«
»Ich weiß, ich weiß. Aber dieser Typ kennt sich mit so was aus. Na ja, jedenfalls schuldet er mir einen Gefallen, und da habe ich mir gedacht, er könnte doch mal hier und da nachhaken – vielleicht kriegt er ja was raus.«
Mein erster Impuls war, rundweg abzulehnen. Aus purer Eitelkeit. Weil ich meine Tochter am liebsten selbst gefunden hätte. Aber natürlich wollte ich sie in erster Linie endlich wiederhaben – kein Problem also, wenn jemand anders sie aufstöberte.
»Und was ist das für ein Typ?«, fragte ich. »Ist er Privatdetektiv? Ein Ex-Cop?«
»Er arbeitet für ein Sicherheitsunternehmen«, sagte Bob. »Arnold Chilton heißt er.«
Ich überlegte einen Augenblick. Ich mochte Bob nicht,
und eigentlich wollte ich keine Hilfe von ihm annehmen, aber wenn er einen Profi kannte, der Ahnung von der Materie hatte, konnte ich schlecht nein sagen.
Es kostete mich einiges an Überwindung, aber ich streckte ihm die Hand hin. »Okay«, sagte ich. »Einverstanden.«
Ich wandte mich zum Haus. Evan lehnte am Heck des Hummer, völlig in sich versunken, summte einen Song und spielte Luftgitarre. Offenbar hielt er sich für den nächsten Kurt Cobain. Susanne war anscheinend immer noch im Haus.
»Fahren wir jetzt endlich?«, fragte Evan, nachdem er sich für einen Moment von seiner imaginären Gitarre losgerissen hatte. »Ich will wieder an meinen Computer.«
»Gleich«, sagte Bob und wandte sich zu mir. »Kannst du Susanne Bescheid geben?«
Ich nickte und ging ins Haus. Ich dachte, sie sei im Wohnzimmer, doch dort war sie nicht.
»Susanne?«, rief ich.
Dann hörte ich unterdrücktes Schluchzen aus Syds Zimmer. Die Tür war angelehnt. Als ich sie behutsam öffnete, sah ich meine Exfrau vor der Kommode unserer Tochter stehen. Ihr Stock lehnte an der Wand. Sie stand mit dem Rücken zu mir, den Kopf gesenkt und mit bebenden Schultern.
Ich trat zu ihr, legte einen Arm um sie und zog sie fest an mich. Mit der einen Hand wischte sie sich die Augen, während sie mit der anderen über die Sachen strich, die Syd auf ihrer Kommode ausgebreitet hatte: Wattestäbchen in einer Smiley-Tasse, diverse Cremes, Schminkzeug und Haarspray, Kontoauszüge, Fotos von sich und ihren Freundinnen, ein iPod Shuffle und die dazugehörigen Ohrstöpsel.
»Ohne ihren iPod ist sie nie irgendwo hingegangen.« Susanne berührte das kleine Gerät mit dem Zeigefinger, so vorsichtig, als handle es sich um ein seltenes Artefakt.
»Außer zur Arbeit«, sagte ich. »Aber du hast recht. Sonst hatte sie den iPod immer dabei.«
»Aber das heißt doch …« Susanne hielt einen Augenblick inne. »Dass sie niemals weggegangen wäre ohne ihre Musik«, flüsterte sie.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich leise. Aber natürlich hatte Suze recht. Sydney hatte nichts mitgenommen. Die Tasche, in der sie ihre Sachen mitgebracht hatte, stand nach wie vor in der Zimmerecke. Ihre Klamotten befanden sich im Schrank; ein paar Sachen hatte sie achtlos aufs Bett geworfen.
Zum Aufladen steckte man den iPod in die USB-Buchse an Syds Laptop, der auf ihrem Schreibtisch stand. Wir hatten den Computer bereits gemeinsam mit der Polizei gecheckt, ihre E-Mails, ihre Facebook-Seite und den Verlauf der besuchten Websites in Augenschein genommen, ohne jedoch etwas Brauchbares zu finden.
Susanne drehte sich zu mir um. »Lebt sie noch, Tim? Ist Syd noch am Leben?«
Ich nahm den iPod und schloss ihn an den Laptop an. »Damit sie gleich wieder Musik hören kann, wenn sie zurückkommt«, sagte ich.
VIER
Am nächsten Morgen nahm ich Syds iPod mit und schloss ihn an den AUX-Eingang an meinem Autoradio an. Als kleiner Junge hatte ich mich nachts oft in einen der Mäntel meines Vaters eingehüllt, wenn er auf der Automesse in Detroit gewesen war, um die neuesten Modelle zu begutachten, bevor sie der Rest der Welt zu sehen bekam.
Heute ließ ich mich von der Musik meiner Tochter einhüllen.
Das Gerät spielte die gespeicherten Songs in zufälliger Reihenfolge. Erst lief Amy Winehouse, dann kamen die Beatles – ich hatte gar nicht gewusst, dass Syd ebenfalls auf The Long and Winding Road stand, das zu meinen
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