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In Todesangst

Titel: In Todesangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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uns lieber, als wenn unsere Kids zu ihren Müttern und Vätern zurückkehren würden, aber manche von diesen Eltern haben es schlicht nicht verdient. Sie haben keine Vorstellung, was die Kids hier über sich ergehen lassen mussten. Nein, sie sind beileibe nicht alle Engel. Siebzig Prozent von ihnen würde ich wahrscheinlich eigenhändig hinauswerfen, wenn es meine Kinder wären. Aber viele haben echte Probleme. Manche Mädchen sind von ihren Vätern oder Stiefvätern geschlagen oder missbraucht worden. Andere haben Eltern, die Alkoholiker oder drogenabhängig sind. Letztes Jahr hatten wir ein Mädchen hier, dessen Mutter sie auf den Strich schicken wollte. Sie fühlte sich ein bisschen alt fürs Gewerbe und meinte, ihre Tochter könne ihren Job übernehmen.«
    »Du lieber Himmel«, sagte ich.
    »Tja, und vergangene Woche hatten wir einen Jungen hier, dem die Haut buchstäblich in Fetzen vom Körper hing – ich hätte am liebsten heulen mögen, als ich sein Gesicht gesehen habe. Er hatte sich nicht geduscht, das war alles – und sein Vater hat ihn zur Strafe nach draußen geschleift und mit einem Hochdruckreiniger abgespritzt. Haben Sie eine Ahnung, welche Power hinter so einem Strahl steckt? Damit kann man den Putz von Wänden reißen.«
    Ich schwieg.
    »Jedenfalls kennen Sie jetzt den Grund, warum wir nicht gleich alle Mommys und Daddys anrufen und ihnen sagen, dass sie ihren kleinen Engel bei uns abholen können.«
    »Verstehe.«
    »Die Kids vertrauen uns. Wenn sie uns nicht vertrauen, können wir ihnen nicht helfen.«
    Ich überlegte. »Wenn sich also einer Ihrer Mitarbeiter mit den Eltern irgendwelcher Kids in Verbindung setzen würde, liefe er Gefahr, gefeuert zu werden.«
    »Mit Sicherheit.«
    »Was wiederum bedeuten könnte, dass die Frau, mit der ich gesprochen habe, nicht ihren richtigen Namen benutzt hat.«
    Morgan Donovan dachte einen Moment nach, ehe sie weitersprach. »Warum hat sie Ihnen überhaupt einen Namen genannt? Schließlich hätte sie sich auch anonym mit Ihnen in Verbindung setzen können.«
    »Ich habe ihre Mailadresse«, sagte ich. Ich nannte ihr die Adresse, unter der Yolanda Mills mir geschrieben hatte.
    Morgan schüttelte den Kopf. »Nie gehört«, sagte sie. »Außerdem kann jeder ein Hotmail-Konto eröffnen, mit jedem beliebigen Namen, der ihm gerade in den Sinn kommt.«
    »Ich weiß«, sagte ich.
    »Wie gesagt, meiner Meinung nach hat Sie da jemand böse an der Nase herumgeführt«, fuhr sie fort. »Wollen Sie einen Kaffee? Ich würde Ihnen gern was Stärkeres anbieten, aber wir werden von der Kirche finanziert, und die Herren im Talar sehen es nicht so gerne, wenn man eine Whiskeyflasche in der Schreibtischschublade hat. Wie auch immer, unsere Kaffeemaschine läuft jetzt seit sechzehn Jahren rund um die Uhr, wenn ich mich nicht verrechnet habe.« Offenbar zog ich keine sehr begeisterte Miene. »Also vielleicht doch lieber eine Cola light?«
    Ich nickte.
    »He, Len!«, rief sie. Eilige Schritte ertönten, und wenige Sekunden später steckte Len den Kopf zur Tür herein. »Bring uns doch mal zwei Cola light, okay?«
    Len ging den Gang hinunter und kehrte kurz darauf mit einer Dose Cola und einem einzelnen Pappbecher zurück. »Tut mir leid, mehr ist gerade nicht da«, sagte er, bevor er die Tür hinter sich schloss.
    Morgan stand auf und begann einen Stapel Akten von einem Stuhl zu räumen, damit ich mich setzen konnte.
    »Warten Sie, ich helfe Ihnen«, sagte ich, doch sie hielt abwehrend die Hand hoch.
    »Das kriege ich schon allein hin«, gab sie zurück. »Aber wissen Sie, was mich wirklich sauer macht? Diese beschissenen Armaturen in öffentlichen Toiletten, aus denen nur Wasser kommt, solange man draufdrückt. Sobald man seine Hand unter den Hahn hält, kommt kein Wasser mehr. Ich habe zwar nur eine Faust, aber wenn ich den Kerl finde, der diese verdammten Wasserhähne erfunden hat, schlage ich ihm die Zähne aus.«
    Ich lächelte verlegen.
    »Sie können ruhig fragen«, sagte sie.
    »Was?«
    »Wie ich meinen Arm verloren habe.«
    »Das geht mich nichts an«, sagte ich.
    »Haben Sie Ihren Arm beim Autofahren schon mal aus dem Fenster gehängt?«
    Ich nickte zögernd.
    Sie lächelte. »Mein Exmann sitzt am Steuer. Ich hab’s mir auf dem Beifahrersitz bequem gemacht und lasse den Arm aus dem Fenster baumeln, als das Arschloch über eine rote Ampel fährt und uns ein Ford Explorer in vollem Tempo in die Seite kracht. Tja, vielleicht wäre nichts passiert, wenn wir nicht beide einen

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