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In Todesangst

Titel: In Todesangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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in der Krone gehabt hätten. Tja, jedenfalls wirkte sich der Unfall letztlich auch auf unsere Ehe aus, weil ihn mein fehlender Arm immer daran erinnerte, dass er schuld an meiner Behinderung war. Bald darauf hat er sich aus dem Staub gemacht. Wenigstens war mir noch ein Arm geblieben, mit dem ich ihm hinterherwinken konnte.«
    Sie öffnete die Cola-Dose, schenkte den Pappbecher randvoll und reichte ihn mir. »Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, sagte sie dann. »Wieso hat diese Frau Sie nicht anonym kontaktiert? Warum die Nummer mit dem falschen Namen?«
    »Weil sie mich glauben machen wollte, dass sie wirklich existiert«, sagte ich. »Und es gibt sie ja auch. Ich habe mit ihr gesprochen. Sie hat mir ja sogar ein Foto von meiner Tochter geschickt.«
    »Was für eins?«
    »Eine Aufnahme von Syd, die sie mit ihrem Handy fotografiert hatte.« Ich trank einen Schluck Cola. Erst jetzt merkte ich, wie ausgedörrt ich war. »Und das Mädchen auf dem Bild war eindeutig Syd.«
    Nachdenklich schüttelte Morgan den Kopf. »Vielleicht gibt es ja einen Grund, warum diese ›Yolanda Mills‹ ihre wahre Identität nicht preisgeben wollte.« Sie lachte. »Wie Wonder Woman oder so.«
    »Und diese Wonder Woman waren nicht zufällig Sie?«, fragte ich aufs Geratewohl.
    Morgan Donovan schenkte mir lediglich ein müdes Lächeln. »Schön wär’s«, sagte sie. »Aber ich habe schon genug damit zu tun, die Kids hier mit dem Notwendigsten zu versorgen, um auch Familienzusammenführungen anzuleiern.«
    »Nur ein Schuss ins Blaue«, sagte ich.
    »In welchem Hotel wohnen Sie?«, fragte Morgan.
    »Darum habe ich mich noch gar nicht gekümmert. Ich dachte, ich könnte vielleicht den nächsten Nachtflug zurück nehmen, wenn ich Syd sofort finde.«
    Sie lächelte mitleidig. »Ein Optimist. Ich dachte, die wären ausgestorben. Lassen Sie mir Ihre Handynummer da. Ich hänge ein Foto Ihrer Tochter ans Schwarze Brett, und wenn sie jemand kennt, gebe ich Ihnen Bescheid – okay?«
    »Ja, natürlich«, sagte ich. »Vielen Dank.« Ich trank die Cola aus. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich auch mit Ihren Mitarbeitern spreche?«
    »Ja, würde es«, sagte Morgan Donovan. »Ich setze mich gern für Sie ein, aber ich möchte nicht, dass Sie hier Unruhe reinbringen.«
    Ihre Antwort enttäuschte mich, aber ich ließ mir nichts anmerken. Ich stand auf, nickte und bedankte mich noch einmal. Sie widmete sich wieder der Akte vor ihr auf dem Schreibtisch. Als sie bemerkte, dass ich immer noch da war, sah sie auf. »Gibt’s noch was?«
    »Wollten Sie nicht Syds Foto ans Schwarze Brett hängen?«, fragte ich.
    »Stimmt.« Sie drängte sich an mir vorbei und marschierte in den Empfangsbereich. Zu den Kids, die ich vorhin schon gesehen hatte, waren noch einige hinzugekommen. Morgan durchquerte den Raum, befestigte Syds Foto mit zwei Nadeln am Schwarzen Brett und schrieb darunter: »Hat jemand dieses Mädchen gesehen? Bitte bei Lefty melden.«
    Das Schwarze Brett sah aus wie ein aus Hunderten von Bildern zusammengesetztes Klassenfoto. Jungen und Mädchen. Weiße, Schwarze, Latinos, Asiaten. Manche waren erst zehn oder zwölf, andere hatten die dreißig überschritten. Als Morgan zurücktrat, ging Syds Bild in der Menge der anderen Fotos augenblicklich unter, nur mehr ein weiteres Gesicht einer verlorenen Generation.
    Fassungslos starrte ich auf das Schwarze Brett.
    »Ich weiß«, sagte Morgan. »Es ist zum Verzweifeln.«
     
    ***
     
    Bevor ich ging, bat ich Len um ein Blatt Papier. In die Mitte klebte ich ein Foto von Syd und schrieb darüber: »HABEN SIE SYDNEY BLAKE GESEHEN?« Unter das Bild setzte ich meinen Namen plus Handynummer und notierte dazu: »RUFEN SIE BITTE AN.«
    Ich verließ das Second Chance; in einer Drogerie um die Ecke kopierte ich das Flugblatt hundert Mal. Dann begann ich die Kopien in den umliegenden Geschäften zu verteilen. Wenn Syd zweimal im Second Chance gesehen worden war – bis jetzt gab es jedenfalls keinen Gegenbeweis –, bestand auch die Möglichkeit, dass sie den einen oder anderen Laden betreten, sich vielleicht sogar um einen Job bemüht hatte. Was mir sogar relativ wahrscheinlich erschien, da Syd immer sehr selbstständig gewesen war.
    Die meisten Ladeninhaber nahmen das Flugblatt freund lieh entgegen, betrachteten Syds Gesicht und versprachen, mich anzurufen, falls sie ihr begegnen sollten. Einige wimmelten mich mit einem lapidaren »Tut uns leid« ab, andere zerknüllten den Flyer und warfen ihn gleich in den

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