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In Todesangst

Titel: In Todesangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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gesehen habe, stand er auf der gegenüberliegenden Straßenseite, nur ein paar Häuser weiter. Als ich dann rausgegangen bin, ist der Wagen losgefahren und verschwunden.«
    Ein Junge – ein junger Mann – bog um die Straßenecke und näherte sich dem Second Chance. Das Mädchen kam ihm zwei, drei Schritte entgegen, schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn. Blöderweise konnte ich nur ihre Arme und den Haaransatz sehen, da er mit dem Rücken zu mir stand.
    »Susanne …«
    »Mir macht das Angst, Tim. Bob nimmt mich nicht ernst. Er meint, ich würde Gespenster sehen, seit Syd verschwunden ist.«
    Der Junge und das Mädchen standen nun im Lichtkegel der Laterne, doch konnte ich ihr Gesicht immer noch nicht erkennen, da sie sich eng an ihren Freund schmiegte. Obwohl mir mein Bauch ohnehin sagte, dass es nicht Syd war. Das Mädchen bewegte sich anders, und außerdem hatte sie etwas kürzere Beine als Syd, wenn ich mich nicht ganz irrte.
    Zusammen gingen sie die Straße hinauf. Gleich würden sie vollends verschwinden.
    »Langsam verstehe ich gar nichts mehr«, sagte Susanne. »Beobachtet jemand unser Haus? Oder irgendein anderes in unserer Straße? Und wenn es sich um unser Haus handeln sollte – wer wird beobachtet? Ich, Bob oder vielleicht sogar Evan?«
    Dann legte das Mädchen den Kopf in den Nacken und warf die Haare über die Schulter.
    So wie Syd es immer getan hatte.
    »Susanne? Warte mal einen Moment. Bleib auf jeden Fall dran.«
    »Wieso? Was ist denn …«
    Ich legte das Handy auf den Tisch, eilte in Riesenschritten zur Tür und stürmte hinaus. Bremsen quietschten, als ich über die Straße rannte. Eine Hupe ertönte, und jemand rief mir »Arschloch!« hinterher.
    Sie waren etwa dreißig Meter voraus. Zwanzig. Zehn. Fast hatte ich sie eingeholt. Das Mädchen hatte einen Arm um seine Taille gelegt und den Daumen in einer Gürtelschlaufe eingehakt.
    »Syd!«, rief ich. »Syd!«
    Noch bevor das Mädchen sich zu mir umdrehen konnte, ergriff ich sie am Arm.
    »Syd!«, sagte ich.
    Aber es war nicht Syd.
    Sie riss sich von mir los, während ihr Freund mir mit beiden Händen einen Stoß vor die Brust versetzte. Ich taumelte zurück, stolperte über meine eigenen Füße und landete unsanft auf dem Hintern.
    »Arsch auf, oder was?«, sagte er, nahm das Mädchen bei der Hand und führte es über die Straße.
     
    DREIZEHN
     
    Am nächsten Morgen überlegte ich, ob ich mir einen Wagen mieten sollte, aber Seattles Straßen sind leider nicht so übersichtlich angelegt wie die in New York. Da ich keine Zeit mit der Suche verschwenden und so viele Anlaufstellen für Kids wie möglich abklappern wollte, bot ich einem Taxifahrer vor dem Hotel zweihundert Dollar an, für die er mich von Adresse zu Adresse bringen sollte.
    »Für zweihundert bis Mittag«, sagte er.
    »Vielleicht brauche ich Sie auch länger«, sagte ich.
    In der Lobby des Hotels – leider war es doch kein Holiday Inn – gab es zumindest einen Computer, den ich benutzen konnte. Zunächst suchte ich mir im Internet die Adressen der Anlaufstellen für Jugendliche heraus; kurz darauf erklärte mir der Rezeptionist, dass der Drucker kaputt war, so dass ich Namen, Adressen und Telefonnummern eigenhändig aufschreiben musste.
    Ich reichte dem Taxifahrer das Geld und das Blatt Papier, auf dem ich alle Daten notiert hatte. »Am besten, Sie fangen bei der nächstgelegenen Adresse an«, sagte ich.
    »Keine Sorge«, gab er zurück. »Sie haben mich bereits bezahlt, die Uhr ist ausgeschaltet, und bei den Benzinpreisen fahre ich bestimmt keine Umwege.«
    »Bestens.«
    Um halb elf hatten wir sämtliche Adressen durch. Überall lief es gleich ab. Ich hinterließ ein paar Flugblätter mit meiner Handynummer, sprach aufs Geratewohl irgendwelche Kids an und hielt ihnen Syds Bild unter die Nase.
    Niemand erkannte sie wieder. Der Name Yolanda Mills sagte ebenfalls niemandem etwas.
    Nachdem wir die letzte Adresse aufgesucht hatten, ließ ich mich erschöpft auf den Rücksitz des Taxis fallen. »Kennen Sie sonst noch irgendwelche Zentren für Ausreißer und obdachlose Kids?«, fragte ich den Taxifahrer.
    »Ich wusste nicht mal, dass es so viele gibt«, erwiderte er. Der Miniatur-Jesus auf dem Armaturenbrett, der den ganzen Vormittag wie wild vor sich hin genickt hatte, war endlich zur Ruhe gekommen. Mein Fahrer war ein schwergewichtiger, unrasierter Bursche, der während unserer Tour durch die Stadt fast fortwährend mit seiner Frau telefoniert hatte, um zu diskutieren, wie

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