In tödlicher Gefahr
beim Kamin zu setzen, machte Claudia sich in der Küche zu schaffen, holte Lebensmittel aus dem Kühlschrank und Töpfe aus dem Schrank. Sie kochte Suppe, ein weiteres ihrer Allheilmittel, obwohl Abbie nicht hungrig war, wie sie sagte.
„Es gibt mir etwas zu tun“, erwiderte Claudia.
Abbie widersprach nicht. Sie brauchte ihre Energie, um sich zusammenzunehmen, auch wenn es ihr sehr schwer fiel, da alles in diesem Haus sie an Ben erinnerte. Ihr Blick fiel auf den Couchtisch, auf dem die Baseballkarten lagen, von denen Ben und Jordan so geschwärmt hatten. Sie schob den Stapel auseinander und entdeckte Bens Lieblingskarte, die von Scott Rolen mit seiner Unterschrift darunter. Sie erinnerte sich an Bens Begeisterung im letzten Jahr, als Brady ihn mit zu einem Spiel der Phillies genommen hatte. Durch Vermittlung eines Freundes hatte er den Jungen mit seinem Idol Scott Rolen bekannt gemacht. Wochenlang hatte Ben von nichts anderem gesprochen.
Sie nahm die Karte auf und dachte daran, dass ihr Sohn sie noch heute in der Hand gehabt hatte, als alles noch so wunderbar normal gewesen war.
Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Betrachtungen. Sie lief zum Apparat und entriss Claudia förmlich den Hörer. „Hallo?“
„Abbie, hier ist John.“
„Hast du ihn gefunden?“ stieß sie hervor.
„Noch nicht.“ Verkehrslärm drang durch den Hörer, gefolgt von einem Knacken, dann war die Stimme wieder da. „Ich muss dich ein paar Dinge über Professor Gilroy fragen.“
Abbie war verblüfft. „Über Oliver?“
„Ihr nennt euch beim Vornamen?“
„Er ist ein Stammgast.“
„Wie oft kommt er?“
„In den letzten zwei Jahren jeden Tag.“
„Kennt er Ben?“
„Er ist ihm schon begegnet, ja.“
„Wann?“
Die eindringliche Befragung beunruhigte sie. „Was ist los, John?“
„Beantworte bitte die Frage, Abbie.“
„Sie haben sich vor einigen Monaten kennen gelernt.“
„Bei welcher Gelegenheit?“
Abbie atmete durch. „Als Oliver hörte, dass ich einen Sohn habe, brachte er ihm kleine Modelleisenbahnen mit, die er selbst baut. Ben hatte dann mal einen halben Tag schulfrei, und ich habe ich ihn mit ins Restaurant genommen, damit er sich persönlich bei Oliver bedanken konnte.“
„Hat er je darum gebeten, Ben mitnehmen zu dürfen? Allein?“
Allmählich bekam sie es mit der Angst zu tun. Auch wenn sie John noch nicht lange kannte, war ihr klar, dass er nicht ohne triftigen Grund diese Fragen stellte. „Nein … allerdings …“
„Was?“
„Als mir Oliver letzte Woche nach Ians Tod sein Beileid aussprach, erzählte er mir, dass er eine Jungengruppe der FitzRandolph Academy zur Eisenbahnausstellung nach Northlandz begleite. FitzRandolph“, wiederholte sie „das ist doch Jordans Schule, nicht wahr?“
„Ja, das ist richtig. Und weiter?“
„Oliver wollte Ben mitnehmen, aber er hatte Baseballtraining an dem Tag und konnte nicht.“
„Wie hat Gilroy es aufgenommen?“
Abbie bemerkte, dass sich Claudia in den zweiten Sessel gesetzt hatte und aufmerksam lauschte. „Ganz normal, denke ich. Nein, das stimmt nicht. Er war enttäuscht. Er klang fast … beleidigt.“
„Hat er etwas Konkretes gesagt, das dir diesen Eindruck vermittelte?“
„Nein, ich hatte nur so ein Gefühl. Ich bin weggegangen, als Oliver sagte, er würde das verstehen und Ben ein andermal etwas Gutes tun.“ Sie sah Claudia an. „Was ist los, John? Hast du etwas über Professor Gilroy herausgefunden, das ich wissen sollte?“
„Ich weiß nur, was du und meine Exfrau mir gesagt haben. Jordan hat an diesem Ausflug nach Northlandz teilgenommen. Auf der Rückfahrt hat der Professor ihm einen kleinen Eisenbahnwagen geschenkt und ihn zu sich eingeladen, damit er sich seine Ausstellung ansieht. Vielleicht bin ich paranoid, aber diese Einladung ist mir irgendwie nicht geheuer. Besonders, seit ich mich erinnerte, dass dieser Gilroy der Mann ist, den ich letzte Woche bei dir im Campagne gesehen habe, als er dir den Eisenbahnwagen für Ben gegeben hat.“
Die Stimme verschwand für ein, zwei Sekunden, dann war sie wieder da. „Was weißt du über ihn, Abbie?“
Sie war fast dankbar für die Frage, die sie einen Moment von ihren Ängsten ablenkte. „Nicht viel, nur das, was er mir erzählt hat. Er kam vor fünfzehn Jahren in die Staaten und unterrichtete bis zu seiner Pensionierung vor vier Jahren am Wesley College englische Literatur. Dann machte er aus seiner Leidenschaft, Modelleisenbahnen zu bauen, ein
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