In tödlicher Gefahr
kriegt jedes Mal eins übergebraten. Warum fragst du?“
„Du musst mir einen Gefallen tun, Dad.“
„Schieß los.“
„Bis vor vier Jahren unterrichtete ein Professor Oliver Gilroy am Wesley College englische Literatur. Er kam Ende der achtziger Jahre aus England her, ist Witwer und hat eine Tochter und einen Enkel in England, die er jedes Jahr besucht. Ich möchte alles wissen, was du sonst noch über ihn erfahren kannst.“
„Hat dieser Professor etwas mit der Pressekonferenz zu tun, die ich gerade gesehen habe? Und mit dem Verschwinden des Jungen?“
„Könnte sein.“
„Dann rufe ich Lyman sofort an.“
„Danke, Dad“, sagte John und hielt vor Abbies Haus an, „ich bin dir sehr verbunden.“
Abbie musste Ausschau nach ihm gehalten haben, denn sie öffnete bereits die Tür, ehe er aus dem Wagen stieg. Die Belastung forderte ihren Tribut, wie an ihrem hübschen Gesicht abzulesen war. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, und die Mundwinkel waren herabgezogen, was sie müde und niedergeschlagen wirken ließ.
Einen Moment umarmte er sie und strich ihr übers Haar. Vor vierundzwanzig Stunden hatte er sie schon einmal so gehalten. Ihr Herz hatte so schnell geschlagen wie jetzt, aber aus anderen Gründen. Schließlich ließ er sie los. „Zeig mir die Nachricht.“
Wortlos übergab sie ihm den Zettel, und er las ihn auf dem Weg in die Küche. Eine junge Frau mit rotem Kraushaar und randloser Brille, die Abbie als ihre Freundin Claudia Marjolis vorstellte, gab ihm die Hand.
„Wie hast du das bekommen?“ fragte er Abbie und hielt die Nachricht hoch.
„Brady hat sie mir gebracht. Sie kam über das Fax im Restaurant. Offenbar lag sie schon eine Weile dort. Aber da so viel passiert ist, hat niemand das Faxgerät beachtet.“ Sie deutete auf einen Namen am oberen Rand des Blattes. „Offenbar kam es aus einem Internetcafé.“
John las die entsetzliche Mitteilung noch einmal. „Und es kam kein Anruf hinterher? Auch keine E-Mail?“
„Nichts.“ Sie deutete mit dem Kopf zu dem Laptop auf dem Beistelltisch. „Seit ich zu Hause bin, habe ich ihn eingeschaltet. Wenn ich eine Nachricht bekomme, ertönt ein Piepton.“
Mit zittriger Hand fuhr sie sich durchs Haar. „In jener Nacht am See hat Arturo Garcia mich mehrere Male Luder genannt.“
John nickte. „Die rüde Ausdrucksweise könnte aber auch ein Ablenkungsmanöver sein, um die Aufmerksamkeit bewusst auf jemand anders zu lenken.“
„Was wird unternommen, um Ben zu finden?“ fragte Claudia.
John blickte sie an und mochte die Frau mit den großen blauen Augen sofort. Sie würde einen beruhigenden Einfluss auf Abbie ausüben, die nervlich extrem angespannt wirkte. „Außer dass wir eine Fahndung herausgegeben haben und alle Fernsehstationen informiert wurden, habe ich Fachleute herbeordert, die Abbies Telefon anzapfen werden. Sie werden das Verfahren erklären, sobald sie hier sind.“ Er sah noch einmal auf das Blatt Papier in seiner Hand. „Inzwischen sehe ich mir dieses Internetcafé an. Ich kenne es. Es liegt in New Brunswick. Soweit ich weiß, ist es vierundzwanzig Stunden am Tag geöffnet.“
Abbie legte ihm eine Hand auf den Arm. „John, sag mir ehrlich, warum der Entführer diese zornige Botschaft geschrieben hat. Weshalb verlangt er kein Lösegeld?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht will er mit dir spielen und dich erst mal nervös machen, damit du seine Forderung ernst nimmst, wenn er sie schließlich stellt.“
„Ich nehme ihn sehr ernst. Er kann alles haben, was ich besitze: mein Haus, mein Restaurant, meinen Wagen, alles. Ich will nur meinen Sohn zurück.“
John umarmte sie und hielt sie fest, bis sie aufhörte zu zittern und ruhiger atmete. Er wollte ihr so gerne helfen, damit alles wieder gut wurde. Doch zum ersten Mal in all den Jahren als Polizist und trotz vieler aufgeklärter Fälle war er im Zweifel, ob er ihr helfen konnte.
Das Läuten der Türglocke unterbrach seine beklemmenden Gedanken. Claudia öffnete, und einen Moment später ertönte ein ärgerlicher Ausruf, gefolgt von Claudias zorniger Stimme.
„Ich dachte, Abbie hätte Ihnen deutlich gesagt, dass Sie sich fern halten sollen. Was ist sonst noch nötig, damit …“
Mit raschen Schritten kam John zu ihr an die Tür. Auf der Veranda stand Ken Walker, den er erst vor Stunden befragt hatte. „Was wollen Sie hier?“ fuhr er ihn an.
Abbie schob John beiseite. „Sie haben sich eine schlechte Zeit ausgesucht, um mich zu belästigen, Ken.“ Ihre
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