In tödlicher Gefahr
Miss DiAngelo!“
Sie sah den jungen Mann an, als hätte sie ihn noch nie gesehen. Eigenartig, dachte Ian, wirklich eigenartig.
„Ich bin gekommen, um den Rasen zu schneiden“, erklärte der Junge. Ihr sonderbares Benehmen schien ihn überhaupt nicht zu beunruhigen.
Während der Junge über das Wetter plauderte, zog er einen Rasenmäher aus seinem Van und schob ihn in den Vorgarten. Irenes Mimik verriet reine Panik. Sie fuhr herum, als sei ihr der Leibhaftige erschienen, und lief ins Haus.
Ian saß einen Moment verblüfft da. Was, zum Teufel, war das denn? Was war los mit Irene?
Nun ja, es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Er öffnete die Wagentür, stieg aus und eilte wie jemand, der dringend etwas zu erledigen hat, auf das Haus zu. Der Junge war soeben zu seinem Wagen zurückgekehrt, um die Unkrauthacke zu holen, und beobachtete ihn.
„Hallo“, grüßte Ian freundlich, hielt die Karte hoch und deutete auf das Haus. „Vielleicht können Sie mir helfen. Ich bin Immobiliengutachter. Ich wurde von meiner Gesellschaft hergeschickt, mir die Häuser dieses Blocks anzusehen. Als ich bei Miss DiAngelo geklingelt habe, benahm sie sich seltsam und ließ mich nicht ein. Hat sie ein Problem?“
Der Junge zuckte die Achseln. „Miss Di ist ganz okay. Ihr Erinnerungsvermögen setzt nur manchmal aus. Vielleicht versuchen Sie’s in einer Stunde noch mal. Dann ist sie vielleicht wieder klar.“
„Was meinen Sie damit? Was ist denn los mit ihr?“
Der Junge öffnete den Schraubverschluss eines Kanisters und füllte Benzin in den Mäher. „Sie hat eine Krankheit, die das Gedächtnis beeinträchtigt. Ich habe vergessen, wie sie heißt.“
„Alzheimer?“
„Ja, richtig. Alzheimer. Die meiste Zeit ist sie okay und richtig nett. Aber manchmal, so wie jetzt, kann sie sich nicht erinnern, wer man ist.“
Ian konnte seine Begeisterung kaum bezähmen. Irene hatte Alzheimer. Deshalb hatte Abbie sich so komisch benommen und ihre Mutter nicht mit den Vorwürfen zu dem Feuer konfrontiert. Wenn Irene sich also nicht an jene Nacht erinnern konnte, war sie auch nicht in der Lage, die Vorwürfe zu entkräften.
Wenn das nicht ein absoluter Glücksfall war. Und er hatte sich schon Sorgen gemacht, Abbie durchschaue seinen Bluff. Doch ihr Widerstand war nichts weiter als Angst gewesen, und jetzt kannte er den Grund.
Die Lunchzeit im Campagne war fast vorüber, und in der Küche ging es wieder ein wenig geruhsamer zu, als der Anruf kam. Abbie stand nur wenige Schritte vom Wandtelefon entfernt, als es klingelte. Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass die Belegschaft zum Lauschen zu beschäftigt war, nahm sie den Hörer ab.
„Sie haben ein R-Gespräch von einem Earl Kramer aus dem Stateville Gefängnis“, sagte eine nasale weibliche Stimme. „Übernehmen Sie die Kosten?“
Abbie drehte sich zum Fenster und merkte, wie ihre Kehle trocken wurde. „Ja.“ Sie schluckte. „Ja, ich übernehme sie.“
„Abbie DiAngelo?“ Die Stimme am anderen Ende klang grob und ungebildet. „Sind Sie das?“
„Ja.“ Sie räusperte sich. „Aber ich muss den Anruf in mein Büro legen. Es dauert nur eine Sekunde.“
Der Mann lachte. „Ich geh’ nich’ weg.“
Als Brady vorüberging, reichte sie ihm den Hörer. „Würdest du den bitte auflegen, wenn ich es dir sage?“
Sich seiner Neugier bewusst, eilte sie in ihr Büro und nahm dort den Hörer auf. Ihr Herz schlug schneller, aber nicht von dem kurzen Sprint. „Ich bin dran, Brady. Danke.“
„Kein Problem.“
„Mr. Kramer?“
„Ja.“
Abbie hielt den Hörer ans Ohr, ging um den Schreibtisch herum und setzte sich. „Wissen Sie, warum Ian Sie bat, mich anzurufen?“
„Klar. Sie wollen wissen, ob das stimmt, was ich ihm über Ihre Mutter verklickert habe.“ Er machte eine kurze Pause. „Es stimmt.“
Sie schloss die Augen und zwang sich, bis fünf zu zählen. „Sie wissen, dass es nicht wahr ist. Warum tun Sie das? Hat Ian Ihnen Geld geboten?“ Dumme Frage. Bildete sie sich ein, er würde es zugeben, wenn es so wäre?
„Wo ich bin, nützt einem Geld rein gar nix, Missie. Außerdem ist Earl Kramer nich’ käuflich.“
Das bezweifelte sie stark. „Warum kommen Sie jetzt damit heraus? Weshalb haben Sie Ian die Geschichte nicht gleich nach Ihrer Verurteilung erzählt?“
„Weil ich immer noch ‘ne Chance gesehen hab’, durch Berufung um die Todesstrafe rumzukommen. Nach zwei Versuchen haben die mir jetzt aber gesagt, das war’s. Ich bin erledigt, da kann
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