In tödlicher Gefahr
so wie ich dir meinen Körper und meine Seele …“
Abbie warf den Hörer auf die Gabel. Was war das für ein krankes Monster? Glaubte er wirklich, sie kaufte ihm diese Vorstellung ab? Und was für eine Sorte Mensch erfand solche Lügen ohne Gewissensbisse und betete im selben Atemzug für seine Seele?
Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen und verharrte in dieser Haltung, bis Brady sich über die Sprechanlage meldete, um ihr zu sagen, dass er gehen würde.
Vielleicht ist noch nicht alles verloren, dachte sie und erhob sich hinter ihrem Schreibtisch. Möglicherweise gab es einen Ausweg aus diesem Albtraum – einen legalen. Sie wusste nicht, wie der aussehen konnte, doch Claudias Bruder war Anwalt. Obwohl er in Philadelphia lebte, traf er sich häufig mit seiner Schwester. Und wenn er in der Stadt war, sorgte Abbie immer dafür, dass sie Dinner oder Lunch im Campagne aßen. Doch was noch wichtiger war, sie wusste, dass sie ihm trauen konnte.
Mit dem Gedanken nahm sie ihre Handtasche und ging ebenfalls.
9. KAPITEL
A bbie hatte die fünfunddreißigjährige Claudia Marjolis vor sieben Jahren kennen gelernt, als sie bei der großen Eröffnung ihrer ersten Ein-Frau-Show den Partyservice gemacht hatte. Als jüngster Spross einer alten Geldadelsfamilie aus Philadelphia und erklärter Rebell hatte Claudia ihre Familie damit geschockt, dass sie ihr Medizinstudium hinwarf und Bildhauerin wurde.
Obwohl ihre Eltern sich schließlich von dem Schreck erholten und ihre Tochter dann von Herzen unterstützten, wussten sie immer noch nicht recht, was sie mit diesem Freigeist anfangen sollten. Ein Geist, der sich nicht nur in ihrer Arbeit widerspiegelte – die von manchen Kritikern als revolutionär bezeichnet wurde –, sondern im Lebensstil, in der Art der Kleidung und sogar in der Wahl des Essens.
Ihre Wohnung, zugleich Atelier, befand sich im Loft eines zweistöckigen Gebäudes – einer ehemaligen Bonbonfabrik. Eine Fensterfront bot einen ungehinderten Blick auf den Holder Tower der Princeton University, eines der bekanntesten Wahrzeichen der Stadt. Die Hälfte des Loftraumes wurde von ihren Arbeiten eingenommen, einem ausgewählten Sortiment an Ton- und Bronzeskulpturen verschiedener Formen und Größen. Der übrige Raum, teils Wohnraum, teils Küche, war in verschiedenen Rot- und Schwarzschattierungen gehalten. Das Schlafzimmer verbarg sich hinter einer von Claudias interessanteren Kreationen, einem Glasturm aus leeren Krügen. Abends, wenn das goldene Licht im richtigen Winkel hereinfiel, erstrahlte das Kunstwerk, als stünde es in Flammen. Ben kam für sein Leben gern her. Zum einen, weil Claudia ihn fürchterlich verwöhnte, und zum anderen, weil sie ihn oft mit auf den Schrottplatz nahm, wo sie Metallabfälle für ihre Arbeiten kaufte.
Als Abbie eintrat, versuchte Claudia soeben laut stöhnend, eine sechs Fuß lange, liegende Frauengestalt über den Schieferboden zu zerren. Klein und kaum hundert Pfund schwer, wirkte die Freundin, als könnte sie nicht mal eine Feder bewegen. Zwei Jahre als Kellnerin einer stets vollen Cafeteria in SoHo während des Studiums am Lower Manhattan Art Center hatten ihr jedoch eine Kraft im Oberkörper verliehen, über die nur wenige Frauen ihrer Größe verfügten.
Mit ihrem Wust an roten, derzeit mit Gips gesprenkelten Locken, den großen runden blauen Augen und der Großmutterbrille sah sie aus wie eine hübschere Version von Raggedy Ann. Klug und erfolgreich, hatte sie auf die Ehe verzichtet, obwohl sie dreimal kurz vor einer Heirat gestanden hatte. Alle drei hoffnungsvollen Bräutigame hatte sie am Altar stehen lassen – Opfer ihrer berüchtigten Bindungsphobie. Abbie hatte oft gespottet, dass der Film, „Die Braut, die sich nicht traut“ auf Claudias Lebensgeschichte basiere.
Als die Tür knarrend ins Schloss fiel, drehte Claudia sich um, eine Hand in Taillenhöhe in den Rücken gepresst. „Du kommst genau richtig. Das Ding wiegt eine Tonne.“
„Sieht so aus.“
Abbie betrachtet die Skulptur genauer, eine Frau mit konischen Brüsten, gewaltigen Schenkeln und kleinen Füßen. Sie hatte den Entstehungsprozess des neuen Werkes zwar während der letzten sechs Monate verfolgt, aber erst vor vier Wochen war ihr aufgegangen, dass der Gipsblock eine Frau werden würde.
„Nun, was hältst du davon?“ fragte Claudia wie eine stolze Mama.
Abbie umrundete mit geschürzten Lippen langsam die Statue und begutachtete jedes Detail. Die zwei schwarzen Knopfaugen im Gesicht
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