In tödlicher Gefahr
er wählte bereits. Während er wartete, zwinkerte er ihr zu und wirkte sehr zuversichtlich. „Anna“, sagte er, als jemand den Anruf entgegennahm. „Hier ist Ian McGregor. Bitte sag Earl, dass er die Telefonnummer anrufen soll, die ich dir gleich gebe. Er soll nach Abbie DiAngelo fragen. Hast du etwas zu schreiben?“ Er wartete noch einige Sekunden, dann gab er die Nummer des Restaurants durch, die er auswendig kannte. „Kannst du ihn heute noch erreichen? Es ist dringend.“ Er lächelte. „Super, Anna. Danke.“
Er klappte das Telefon zu und steckte es wieder ein. „Das war Earls Frau. Sie sagte, er würde sich noch heute melden, falls er seine drei Anrufe pro Woche noch nicht ausgenutzt hat.“
„Woher soll ich wissen, dass der Anruf aus dem Gefängnis kommt?“
„Er muss ein R-Gespräch anmelden. Die Vermittlung wird dir sagen, dass der Anruf aus Stateville kommt.“
Ian hatte an alles gedacht, war auf jede Frage vorbereitet. War das alles nur ein ausgetüftelter Bluff, oder sagte er tatsächlich die Wahrheit?
Er legte ihr einen Zettel auf den Schreibtisch. „Ich habe dir meine Handynummer aufgeschrieben. Ruf mich an, sobald er sich gemeldet hat.“
„Ich springe nicht, wenn du pfeifst, Ian. Schließlich habe ich ein Geschäft zu führen.“
Ehe er antworten konnte, klopfte es. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, öffnete Brady die Tür und steckte den Kopf ins Zimmer. Ein Blick genügte ihm, um die Spannung zwischen den beiden zu spüren. „Abbie, wir haben in der Küche eine Krise. Könntest du sofort kommen?“
Es hatte noch nie eine Krise gegeben, mit der er nicht selbst fertig wurde, und sie bezweifelte, dass es jetzt eine gab. Allerdings war sie dankbar für die Unterbrechung. „Ich komme sofort.“
Sie sah Ian an, der sich leicht verneigte. „Ich gehe dann.“ Er beugte sich vor, so dass sein Mund fast ihr Ohr berührte, und flüsterte: „Aber ich komme zurück.“ Als er an Brady vorbeiging, der ihm die Tür aufhielt, fügte er hinzu: „Das würde ich mir abschminken, Junge. Klugscheißer mag keiner.“
„Sie müssen’s ja wissen“, konterte der und folgte ihm mit Abbie in den leeren Speisesaal. Sobald Ian fort war, wandte Abbie sich an ihren jungen Souschef. „Sag mir, dass es keine Krise gibt. Im Moment wäre ich kaum etwas Ernsterem als verbranntem Toast gewachsen.“
Er schüttelte den Kopf. „Die war nur ein Vorwand, um zu sehen, ob bei dir alles okay ist.“
„Woher wusstest du, dass ich Hilfe brauchte?“
„Ich kenne solche Typen. Wie konntest du zu so einem Exemplar von Stiefbruder kommen?“
Brady verdiente es, so viel wie möglich zu erfahren. „Nach dem Tod meines leiblichen Vaters heiratete meine Mutter Patrick McGregor, einen Witwer mit zwei Kindern. Zwei Jahre später starb Patrick, und ich zog mit meiner Mutter nach Kansas zu meinem kranken Großvater. Ian und seine Schwester blieben in Kalifornien bei ihrer Tante. In den letzten achtundzwanzig Jahren habe ich keinen von beiden wieder gesehen.“
„Was will Ian von dir?“
Sie ging auf die Küche zu. „Ein Darlehen.“
„Hoffentlich hast du ihm gesagt, dass du nicht die Bank of America bist.“
„Nicht mit diesen Worten, aber so in etwa, denke ich.“
„Falls er es nicht kapiert, gib mir Bescheid. Ich würde ihm gern diese Selbstzufriedenheit vom Gesicht …“
Brady wurde von lauten Stimmen aus der Küche unterbrochen. Die eine gehörte Sean, einem von zwei Küchenhelfern.
„Ich habe dir gesagt, Abbie ist beschäftigt!“ sagte der. „Du musst ein andermal wiederkommen.“
„He, du Penner!“ schimpfte der andere, „ich war schon in diesem Geschäft, als du noch in die Windeln gemacht hast. Also sag mir nicht, was ich tun soll!“
„Das ist Ken!“ Abbie eilte, mit Brady auf den Fersen, zur Küche und stieß die Schwingtüren auf.
Ken Walker stand mit hochrotem Gesicht in der Küche, die Fäuste geballt, als wolle er jeden Moment zuschlagen. Ken, Mitte dreißig und mit der stämmigen Statur eines Ringers, hatte ein aufbrausendes Temperament. Nachdem er ein Jahr bei Abbie gearbeitet hatte, war er von Brady vor sechs Wochen dabei erwischt worden, wie er Geld aus der Kasse nahm. Abbie hatte ihn sofort entlassen und später erfahren, dass er ein Spielproblem hatte, von dem sie nichts wusste.
„Was ist hier los?“ fragte sie, froh, dass das Restaurant noch nicht geöffnet hatte. „Ken, was tun Sie in meiner Küche?“
„Hallo, Miss DiAngelo.“ Er nahm seine Baseballkappe ab und
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