In tödlicher Gefahr
lasse ich dich leben.“
Na klar, dachte Ian, als ob ich das glauben würde.
Arturo presste Ian wieder den Mund ans Ohr. „Wenn du versuchst, mich reinzulegen,
amigo
, wirst du es bedauern – dann rechnen wir ab.
Comprende?“
„Sí.
Ich meine, ja.“
„Gut.“ Arturo ließ ihn los. Ian drehte sich um und sah sich zum ersten Mal seit zehn Jahren dem Mann gegenüber, der fast zweitausend Meilen gefahren war, um ihn zu finden. Großer Gott, der Kerl war noch massiger und hässlicher geworden, als er ihn in Erinnerung hatte. Er hatte sich den Kopf kahl rasiert und offenbarte damit einen unebenen Schädel und hässliche Warzen; und er hatte sich einen Spitzbart stehen lassen. Im linken Ohr steckten immer noch mehrere Ohrringe, einer in der Form gekreuzter Knochen. Er hatte dunkle Knopfaugen, die nicht gerade vor Intelligenz blitzten. Doch ein Mann von der Größe und Gemeinheit eines Arturo Garcia brauchte nicht unbedingt Hirn. Zu ausgefransten Jeans trug er ein schmieriges, an den Schultern abgeschnittenes T-Shirt und abgewetzte Stiefel. Auf seine fleischigen Arme waren nackte Meerjungfrauen und Feuer speiende Drachen tätowiert.
Ian warf einen Blick zur Tür, die er verschlossen hatte. „Wie bist du reingekommen?“ Im selben Moment merkte er, wie dumm die Frage war.
Arturo lachte, so dass die Lücke zwischen seinen Schneidezähnen sichtbar wurde. „Mit meinem verlässlichen Dietrich.“ Er grinste wieder. „Ich verreise nie ohne ihn.“
Er ließ sein Klappmesser zuschnappen. „Ich setze mich jetzt so lange da hin, bis wir zusammen losgehen“, meinte er und deutete mit dem Messer auf den Sessel beim Fenster. „Falls du irgendwas Mieses anstellst, bist du tot.“
„Wir sollen sieben Stunden hier drin bleiben?“
„Hast du ein Problem damit?“
Mit einem Verrückten in einem Motelzimmer eingesperrt zu sein? Ja, damit hatte er allerdings ein Problem, aber das würde er Arturo natürlich nicht gestehen.
Ian schüttelte den Kopf. „Wenn du keines hast, warum sollte ich dann eins haben.“
Arturo setzte sich in den Sessel, streckte die langen Beine aus und schaltete den Fernseher ein. Nachdem er die Kanäle hatte durchlaufen lassen, blieb er bei einem Trickfilm der Power Rangers hängen. Ian legte sich aufs Bett und verdrehte die Augen. Arturos geistiges Niveau verblüffte ihn immer wieder.
Während die Actionhelden ihren Blödsinn trieben, versuchte Ian, gedanklich einen Plan auszuarbeiten. Er musste Kontakt zu Abbie aufnehmen, ehe sie das Restaurant verließ. Falls er jedoch noch lange wartete, erwischte er sie nicht mehr.
Sein Blick wanderte zu Rose’ Handy auf dem Nachttisch. Wenn er es unbemerkt einstecken könnte, hatte er schon halb gewonnen.
Er wartete, bis sein unwillkommener Gast völlig in die Spielchen auf dem Bildschirm vertieft war, streckte langsam den Arm aus, schnappte sich das kleine Telefon und steckte es ein. Der leichte Teil war erledigt, nun kam das Schwierige – der Anruf.
Ian wartete noch eine Minute, schwang die Beine vom Bett und stand auf. „Kann ich pinkeln gehen?“
Arturo sah erst ihn an, dann die angelehnte Badezimmertür. Schließlich stand er auf und ging wortlos ins Bad.
Ian lachte. „Was ist? Hast du Angst, ich entwische durchs Klo?“
„Nein, aber du bist blöd genug, es durchs Fenster zu probieren.“
„Da ist doch gar kein Fenster, Mann.“
Arturo sah sich im Bad um und kicherte, als er Rose’ Unterwäsche und einen rosa Babydoll auf dem Bügel an der Duschstange hängen sah. Offenbar zufrieden, dass es keinen Fluchtweg gab, nickte er. „Mach schnell.“
Ian schloss die Tür, nahm gleichzeitig das Handy aus der Tasche und wählte, die Lippen zusammengepresst. Sein ganzer Körper war angespannt vor Sorge, Abbie könnte schon fort sein.
Komm schon, komm schon.
Ein Küchenangestellter – nicht der Klugscheißer – antwortete, und innerhalb von Sekunden war Abbie an der Strippe. Ian sprach schnell und in eindringlichem Flüstern. „Ich bin’s, Ian. Es gibt eine Änderung im Plan. Komm nicht ins Motel. Wir treffen uns heute Abend um zehn am Pier vom Carnegie See.“
„Warum? Was ist passiert?“
„Ich habe jetzt keine Zeit, das zu erklären. Tu’s einfach.“ Er wiederholte Ort und Zeit und beendete das Gespräch.
Da er geschätzte dreißig Sekunden im Bad gewesen war, betätigte er die Toilettenspülung, wusch sich die Hände und trocknete sie ab. Er sah auf seine Uhr. Das hatte weitere zehn Sekunden gedauert. Den Ablauf musste er sich
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