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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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nicht entgangen war.
    »Gute Leute, reitet Eures Weges«, rief ich, unterdessen ich abstieg und Miroul die Zügel meines Pferdes zuwarf. »Bitte, es ist weiter nichts. Mein Bruder leidet an Schwindelanfällen. Das schleichende Fieber hat ihm zugesetzt.«
    Doch eine große blonde Normannin, sehr christlich und barmherzig – Dame Gertrude du Luc geheißen, wie ich später erfuhr –, drängte es ebenfalls abzusitzen: sie kniete sich unter großen Seufzern ins Gras und wuchtete Samson in ihren Schoß, wo sich sein Kopf unversehens in der Kerbe ihrer stattlichen Brüste wiederfand. Samson, bei geschlossenen Lidern, lief puterrot an, und als ich mich umwandte, sah ich Mirouls kastanienbraunes Auge flackern, während das blaue Auge kalt blieb.
    »Gute Dame, Ihr seht meinen Bruder vom Fieber gepeinigt. Könntet Ihr ihm Eure Feldflasche ansetzen?« fragte ich.
    »Aber ja, von Herzen gern!« rief die Dame Gertrude du Luc.
    Und seinen Kopf fest im Griff zwischen ihrem Arm und dem Busen, ließ sie ihn trinken wie ein Kleinkind. Samson wagte sich nicht zu rühren und schlug auch nicht die Augen auf.
    »Er trinkt, doch scheint er noch ohnmächtig zu sein«, sagte Gertrude. »Ist es nicht ein Jammer, daß ein so schmucker und wohlgestalter Edelmann vor Schwäche aus dem Sattel fällt? Bei Gott, er gleicht dem schönen Erzengel Michael im Fenster unserer Kirche. Der gleiche helle Teint, das gleiche kupferfarbene Haar, die gleichen breiten Schultern, und gar erst die Augen – vom schönsten Azur, sobald er sie aufschlägt. Wäre Euer Bruder bei Besinnung, ich schämte mich, so zu reden«, fuhr sie errötend fort. »Doch er hört mich wohl nicht. Er ist gewiß noch ohnmächtig.«
    »Ist er, edle Dame«, bestätigte ich und krümmte die Nase, um nicht zu lachen. »Doch wenn ich ihm zwei kleine Ohrfeigen gebe, wird er plötzlich aufwachen und alles vergessen haben, was wir gesprochen.«
    »Im übrigen spreche ich ganz ohne Arg«, sagte Gertrude mit einem Seufzer. »Ich bin noch nicht alt genug, daß ich seine Mutter sein könnte, und doch liebe ich ihn fast wie mein eigen Kind. Monsieur, darf ich ihn, ehe Ihr ihn weckt, auf die Wangen küssen?«
    »Auf die Lippen, Madame! Auf die Lippen! So ist es Brauch in unserem Périgord.«
    Mirouls kastanienfarbenes Auge flackerte lebhaft bei dieser heiteren Lüge, indes die Dame sich vorbeugte und Samson auf den Mund küßte. Mein lieber Bruder zeigte, zu meiner großen Verwunderung, nicht Widerstand noch Widerwillen, vielleicht fand er solch mütterliche Liebkosung, die er zum ersten Mal in seinem Leben genoß, nicht tadelnswert.
    Ich reichte Dame Gertrude du Luc die Hand, um ihr auf die Beine zu helfen, doch sie war so drahtig und geschmeidig, daß sie der Stütze kaum bedurfte. Am Gürtel trug sie, außer der Flasche, einen stattlichen Dolch mit Damaszener Verzierung, und in den Reittaschen verwahrte sie zwei Pistolen. Ihr Pferd war eine kräftige braunrote Stute, auf die sie sich ohne jede Hilfe hinaufschwang. Ein wenig gerührt, verwirrt und beschämt, entbot sie mir einen Gruß, gab ihrem Tier die Sporen und jagte dem Gros unseres Trupps nach.
    Als sie außer Hörweite war, stemmte ich die Hände in die Hüften und lachte schallend. Miroul ebenso.
    »Vorwärts, Bruder, macht die Augen auf!« sagte ich zu Samson. »Erhebt Euch! Habt Ihr Euch nicht lange genug an den süßen Busen geschmiegt? Waren das nicht wonnige Küsse?« Und an Miroul gewandt: »Die List hat Wunder gewirkt! Jetzt muß diese Dame ihrer Tugend zuliebe erzählen, wie sehr unser Samson zu leiden hat. Oder hätte sie sich sonst diese Freiheiten erlaubt?«
    »Was denn für Freiheiten?« fragte Samson, den keine Frau je so geherzt hatte. »Hat sie mich nicht ihr Kind genannt? Und war es nicht rührend von ihr, mir ihren Wein einzuflößen? Und ihre liebevollen Worte erinnerten mich an Barberine.«
    Als dies gesagt war – vielleicht nicht so unschuldhaft wie sonst –, erhob sich Samson und stieg wieder in den Sattel; für den Rest des Tages ritt er hängenden Hauptes hin, träumerisch versunken.
    Während wir den Pferden die Sporen gaben, um aufzuschließen, kam uns Page Rouen im Galopp entgegen.
    »Der Herr Baron läßt fragen, ob Euer Bruder wirklich tot ist«, rief er schon von weitem.
    »Solchen Wandel erlebt die Wahrheit«, sagte ich lachend, »wenn sie vom Ende unseres Trupps zur Spitze wandert. Eilezurück, guter Page, und gib dem Baron Versicherung: mein Bruder sitzt hier aufrecht im Sattel.«
    Aufrecht, in der Tat,

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