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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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saß er da, zuckte aber mit keiner Wimper und sagte keinen Mucks, in tiefes Sinnen versunken.
    »Aber ist er wirklich noch am Leben?« fragte Rouen und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, dabei ihm die Augäpfel fast aus den Höhlen fielen.
    »Siehst du doch!«
    »Aber sehe ich nicht ein Gespenst?«
    Ich sagte zu Miroul: »Was für ein Wunder! Hier erlebst du die Wirkung der Märchen: Sie bezweifelten Samsons Fieber. Nun werden sie bezweifeln, daß er am Leben ist.«
     
    An diesem Abend kehrten wir in Carcassonne ein, der prächtigen Stadt, die so wohl bewehrt ist und so gut geschützt von ihren Türmen und Wällen, daß sich unsere Hugenotten die Zähne ausbissen, als sie sich ihrer bemächtigten wollten. Doch konnten unsere Pilger nur eine einzige Nacht verweilen, weil das Lager, die Speisung und die Zimmermädchen nicht nach Caudebecs Geschmack waren.
    Schon am nächsten Morgen nahm man den Weg nach Narbonne, nachdem ein Hufschmied einige Pferde neu beschlagen.
    Der Baron mochte es nicht leiden, wenn ihm jemand vorausritt, weil er dann den aufgewirbelten Staub schlucken und, schlimmer noch, die Fürze der Pferde atmen müßte: er hatte eine sehr feine Nase für alle Gerüche, ausgenommen die seinen. Zudem wollte er freie Bahn haben, ohne daß ihm eine Kruppe oder ein Rücken den Horizont verdeckte. Zu seiner Rechten ritt, etwas zurück, Bruder Antoine; ich selbst als sein Dolmetsch ritt an seiner Linken, gleichauf mit ihm. Hinter ihm der Page Rouen, dauernd auf Trab gehalten, denn der Baron sandte ihn hierhin und dorthin mit Botschaften, Anfragen und Befehlen. Hinter Rouen trotteten des Barons Soldaten, in Helm und Brustharnisch, sechs an der Zahl, alle hünenhaft groß und breit, das narbige Antlitz gegerbt, das Auge wenig fromm. Wären sie nicht Bedienstete des Barons gewesen, hätten sie schauerliche Straßenräuber abgeben können.
    Außer Bruder Hyacinthe, der unabänderlich am Ende der Kolonne blieb, ritten alle anderen nach ihrem Belieben, hin und wieder die Plätze tauschend, je nachdem, was wer wem zu sagenhatte. So gab es ein ständiges Hin und Her, denn diese Normannen waren große Schwätzer und Spaßmacher, sie lachten gern und stimmten immer Lieder an, von denen manch eines Bruder Antoine verdroß. Was Caudebec wenig scherte: wenn die Couplets ihm gefielen, ließ er sie wiederholen. Die Damen, in dieser Truppe ein Dutzend, verbargen ihre Gesichter unter den großen Hauben, nicht ohne insgeheim bei den kecksten Stellen zu lachen. Sie alle waren, außer einer, recht junge Witwen, die des Lebens Wonnen durchaus genossen hatten, zudem waren sie gut betuchte Bürgerdamen, die sowohl zum Vergnügen wie aus Frömmelei pilgerten. Sie trugen schöne und bequeme Kleidung, feine Stiefel, goldene Armbänder; keine indes war edler geschmückt als Dame Gertrude du Luc, die mir im übrigen von höherem Range schien als die anderen: ihr Verstorbener war, so erfuhr ich, Richter gewesen.
    Als wir Carcassonne verließen, wurde in unserer Truppe nicht gelacht noch gesungen, die Stimmung war ernst, alle hatten am Abend zuvor ihre Waffen geprüft und poliert, denn nun erreichten wir jene Wegstrecke, wo das Diebsgesindel der Corbières-Berge die Toulouser Kaufleute schändlichst ermordet hatte.
    Der Baron, der am Abend nur mäßig getrunken hatte, zeigte sich schweigsam und hatte den Horizont fest im Blick, ebenso die mindeste Geländewellung zur Rechten und Linken, als könnten die Räuber da jeden Augenblick auftauchen. Doch als er sich gefaßt hatte, musterte er mich mit einer Miene, die nicht ohne Bitternis war.
    »Monsieur de Siorac«, sprach er, »falls ich heute sterben muß, wird bei dem über mich zu fällenden Gottesurteil auch die Gesellschaft zählen, in der ich mich befinde.«
    Diese Worte erbosten mich, und ich erwiderte gereizt:
    »Ich hoffe, Herr Baron, Ihr findet mich in hinreichend guter Verfassung, an Eurer Seite zu sterben.«
    »Es geht nicht um die gute Verfassung«, antwortete der Baron, die Braue mürrisch hebend, »sondern um den Glauben. Monsieur de Siorac, ich muß Euch ganz unverblümt fragen: Seid Ihr ein guter Katholik?«
    Ah, das ist es! war mein Gedanke.
    »Ich bin es, so gut ich es zu sein vermag«, sagte ich zweideutig. »Und befände ich mich denn hier an Eurer Seite, wenn ich’s nicht wäre?«
    »Gemach! Geht Ihr zur Beichte?«
    »Einmal im Jahr.«
    »Einmal im Jahr! Potz Daus! Das ist aber wenig! Ich, der Baron Caudebec, beichte jeden Tag, den Gott werden läßt!«
    »Ihr seid

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