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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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schon mein Vater es getan, daß unser Heil nicht im Kampfe liege, weil ein Sieg zu nichts nutze wäre, wenn einer von uns argen Schaden nähme; das Heil liege in der Flucht, unsere Reitpferde seien schneller, und dies brächte uns Vorteil. Ein Ratschlag von Gewicht, denn bei Miroul war Vorsicht nicht die Tochter der Feigheit. Er erklomm Mauern mühelos wie eine Fliege, sein Pikenstoß traf schnell wie nur ein Armbrustpfeil – er ganz allein wog drei Soldaten auf. Man nenne mich nicht einen Gascogner Prahlhans: es ist die reine Wahrheit. Im übrigen wird es sich noch beweisen.
    Der frühe Zeitpunkt dieser Reise mag überraschen, weil die Vorlesungen in Montpellier ja erst zu Sankt Lukas beginnen, also am 18. Oktober; doch ich hatte sehr wohl verstanden, daß mein Vater mich mit der so zeitigen Entsendung vom unsäglichen Weh befreien wollte, das mir der Tod der kleinen Hélix, meiner Milchschwester, bescherte. Einen Monat zuvor hatte sie, nach großem Leiden, in der Blüte ihrer neunzehn Jahre Eingang in den Herrn gefunden. Und ich war ihr in freundschaftlicher Liebe zugetan gewesen, uneingedenk ihres niederen Standes und wider allen Dünkel meines älteren Bruders François, der jetzt im Schutze unserer Mauern zurückblieb, auf daß er Baron würde, sobald der Herrgott meinen Vater zu sich riefe. Allerdings wird François gewiß noch viele Jahre warten müssen, denn mein Vater, dem Himmel sei Dank, war mit knapp über fünfzig noch voll Leben und Kraft; ein Jahr zuvor, als Sarlat von der Pest heimgesucht ward, hatte er Franchou, die Kammerjungfer seiner verstorbenen Ehegemahlin, aus der Vorstadt Lendrevie entführt und mit dem Degen in der Hand, Samson und mich an seiner Seite, einer Bande blutrünstiger Kerle die Stirn geboten.
    Hugenotte war ich, ei gewiß, aber in geringerem Maße als mein Bruder Samson, nicht (wie er) seit dem ersten Atemzug mit dem Glauben der Reformierten getränkt. Mich hatte meine Mutter katholisch erzogen; auf ihrem Totenbett schenkte sie mir – der ich mit zehn Jahren unter dem nicht geringen Druck meines Vaters konvertiert war – eine Marienmedaille und nahm mir den Schwur ab, daß ich sie bis zu meinem Lebensende tragen würde. Weshalb ich denn, obzwar ein Reformierter, am Halse treulich besagtes Bildnis trug, das Zeichen katholischen Glaubens.
    Waren mir etwa deshalb die Intimitäten, zu denen mich diekleine Hélix verleitet hatte, weit weniger verdammungswürdig erschienen als meinem Halbbruder Samson, der nicht nur einzigartig schön war, sondern auch noch der reine Tugendbold dünkte? Er selbst war freilich, da außerehelich gezeugt, ein lebender Beweis, wie sehr mein Vater, der Hugenotte, vom rechten Pfad hatte abirren können, ohne daß der Herrgott die Frucht dieser Sünde mit seinem Zorn strafte – und ebensowenig den Sünder, denn trefflich gedieh unser Mespech, und groß war der Reichtum, den hugenottischer Sparsinn und die kluge Bewirtschaftung unserer Ländereien dort angehäuft hatten.
    Mein Vater war sehr dagegen gewesen, daß wir unseren Ritt durch die mittelfranzösischen Berge nähmen, wo uns das Diebsgesindel leicht Hinterhalte legen konnte. Lieber sollten wir nach Cahors und Montauban reiten, dann den Weg über Toulouse, Carcassonne und Béziers wählen, wo die Straße in der Ebene hinführt, da freilich länger ist, aber auch sicherer, weil sehr belebt von Reitern und Fuhrwerken. Doch mitten auf der Reise, während wir in einer Vorstadt von Toulouse Einkehr hielten, in der Herberge
Zu den zwei Engeln
, erfuhren wir von der Wirtin, einer gewitzigten Wittib, daß vierzehn Tage zuvor ein Handelstroß, wiewohl gut verteidigt durch eine aus drei Männern bestehende Eskorte, zwischen Carcassonne und Narbonne ausgeraubt und massakriert worden sei von einer starken Bande, die ihre Schlupfwinkel in den Corbières-Bergen hatte.
    Diese verdrießliche Nachricht gab uns zu denken, und auf dem Zimmer, das Samson und ich in den
Zwei Engeln
teilten – Mirouls Bett stand in einem Nebengelaß –, hielten wir Rat. Miroul saß etwas abseits und entlockte seiner Viole düstere Klänge, denn wir wußten nicht, welchem Heiligen, welchem teuflischen Kobold oder Nachtgespenst wir uns anempfehlen sollten, wir wagten nicht Fortsetzung unserer Reise bei so unmittelbarer Gefahr, aber noch weniger, unseren Vater hierüber zu verständigen, auf dessen Antwort es länger als zwei Wochen zu warten gälte.
    »Zwei Wochen in der Herberge
Zu den zwei Engeln
!« rief Samson aus und schüttelte sein

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