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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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den
Eindruck, keiner redet wirklich mit mir. Egal, wen
ich frage, keiner weiß was, keiner vermutet was. Noch nicht mal böswilliger
Klatsch! Das ist doch nicht normal.«
    Julius musterte die Kommissarin. Das Ahrtal war weiß Gott keine
mittelalterliche Einsiedelei. Aber eine so junge Frau, noch dazu nicht von
hier – kein Wunder, dass keiner das Maul aufmachte. Erst recht, nachdem
sie Gisela hinter Gitter gesteckt hatte.
    »Lassen Sie Gisela frei.«
    Von Reuschenbergs Stirn kräuselte sich vor Wut. »Na toll! Können Sie
nichts anderes, als mir vorhalten, dass Ihre Großkusine die Hauptverdächtige
ist?! Das war’s dann wohl mit meiner Menschenkenntnis!«
    Sie drehte sich um, wollte wieder zurückgehen.
    Julius hielt sie fest. Sein Griff war durch jahrelanges
Kartoffelschälen gestählt. »Es war ein Rat ! Haben Sie
wirklich gedacht, man würde es Ihnen nicht übel nehmen, dass Sie eine der
beliebtesten Frauen der Gemeinde einsperren? Haben Sie gedacht, alle zerreißen
sich dann das Maul über Gisela? Sie müssen die Leute verstehen !
Nur dann reden sie auch!«
    Sie blickte ihn wütend an. Ihre dunkelblauen Augen funkelten wie
scharfe Messer. »Und warum sagen Sie das nicht gleich so?!«
    »Sie hatten hier vom ersten Tag an verloren. Also tun Sie sich
selbst und den Ermittlungen einen Gefallen. Auch wenn Sie glauben ,
Gisela wär’s gewesen. Weglaufen wird sie Ihnen bestimmt nicht. Dafür leg ich
meine Hand ins Feuer!«
    Zu seiner Enttäuschung erntete Julius nur ein Kopfschütteln.
    »Ich kann doch nicht nach Gutdünken eine dringend Tatverdächtige aus
der U-Haft entlassen. Ich hab auch Vorgesetzte, denen ich Rechenschaft schuldig
bin! Dazu kommt noch, dass ich erst seit knapp zwei Monaten auf der Dienststelle
bin. Da werden solche Geisterfahrten ganz besonders beäugt. Tut mir Leid, aber
da müssen Sie mir schon mit einem besseren Rat kommen.«
    Trotzig ging sie in die Hocke, um einen glatten Stein aufzuheben.
Sie warf ihn mit voller Wucht ins Wasser. Er titschte achtmal auf, bevor er
versank. Eine reife Leistung, dachte Julius. Danach schien es ihr besser zu
gehen.
    Julius kam eine Idee.
    »Hier mein neuer Vorschlag.«
    »Immer raus damit!«
    »Ich sage Ihnen alles, was ich weiß. Und andersrum. Der Deal gilt,
bis der Mörder gefasst ist.«
    »Sie wissen schon, dass Sie mir sowieso alles
sagen müssen, wovon Sie Kenntnis haben?«
    »Ich?! Aber ich weiß doch nichts …« Er lächelte. Dieses Spiel
ließ er sich nicht aus der Hand nehmen.
    »Sie sind ganz schön verschlagen für einen harmlosen Koch!«
    »Man tut, was man kann.«
    »Gut. Sie zuerst!«
    Und er berichtete, was er wusste. Zumindest fast. Er hatte noch
nicht genug in der Hand.
    »Jetzt Sie!«
    »Wir haben die Sache mit dem Nachthemd geklärt.«
    »Und?«
    »Nichts, was Ihre Großkusine entlasten würde. Eher das Gegenteil.
Wir haben in der Wäscherei Fotos vorgelegt. Auf einem war Markus Brück. Und das
war der Treffer.«
    »Warum sollte Markus das Nachthemd abgeben?«
    »Lassen Sie mal Ihre Fantasie spielen. Morgen früh ist die
Vernehmung angesetzt. Dann wissen wir mehr. Ihre Großkusine hat ein Verhältnis
mit Markus Brück abgestritten. Etwas zu vehement für meinen Geschmack.«
    Julius würde Brück schon vor morgen früh
durch die Mangel drehen. Die Idee, Gisela könnte eine Affäre mit ihm gehabt
haben, schmeckte Julius überhaupt nicht. Und die Vorstellung, sie danach zu
fragen, erst recht nicht.
    Von Reuschenberg hatte noch eine schlechte Nachricht in petto:
»Gisela Schultze-Nögel hat bei der gestrigen Vernehmung übrigens gestanden,
dass sie sich nicht an die Geschehnisse der Mordnacht erinnern kann, weil sie
zu betrunken war.« Sie blickte Julius ernst an. »Es wundert mich, dass sie
Ihnen bei Ihrem Treffen in der JVA nichts davon
erzählt hat. Aber es muss wohl so gewesen sein. Schließlich lautet unsere
Abmachung, dass Sie mir alles sagen, was Sie wissen.«
    Julius erfüllte eine eigentümliche Mischung aus Ehrfurcht
und Neid, als er am Nachmittag die geheiligten Hallen des historischen
Gasthauses »Sanct Paul« in Walporzheim betrat, der guten Stube des Tals. Schon
von außen machte das weiß gekalkte Haus mit den bemalten Fensterklappen
deutlich, dass es Geschichte atmete. Und mit jedem Schritt, den Julius in dem 1246 erbauten Gebäude tat, schien diese
Atmosphäre greifbarer zu werden, mit jedem Schritt glitt er mehr in eine
vergangene Epoche. Wieder war da dieser Wunsch, auch einmal Herr über eine
solche gastronomische Welt

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