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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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mit dem
Weinbruderschafts-Plakat in der Hand. Julius zog den Kopf zur Sicherheit wieder
zurück. Als der Schemen näher kam, konnte er einen eigentümlich genuschelten
Singsang vernehmen:
    »Wenn das Wasser im Rhein goldner Wein wär, ja dann möcht ich ein
Fischelein sein …«
    Der Vortragende war wenig textsicher, denn anstatt die nächsten
Strophen zum Besten zu geben, wiederholte er, in unterschiedlicher Artikulation
und Melodie, den Refrain. Was seinem Vortrag an Inhalt fehlte, machte er mit
Lautstärke mehr als wett.
    Julius wartete einige Minuten, geschockt von dem, was er gerade
beobachtet hatte, bevor er aufstand, seine Kleidung ordentlich gerade zog und
sich auf den Rückweg zum Wagen machte. Franz-Xaver fand er friedlich
schlummernd auf dem Beifahrersitz, den Kopf zur Seite gesunken. Als Julius sich
ins Auto setzte, wachte er auf.
    »Hab alles im Blick behalten, wie gewünscht, alles im Blick …«
    Julius war zu angespannt, um sich über die Schläfrigkeit seines
Maître d’hôtel aufzuregen.
    »Rat mal, wen ich beim Viaduktpfeiler getroffen habe!«
    Selbst in diesem verschlafenen Zustand war Franz-Xavers Humor völlig
intakt.
    »Den lieben Gott?«
    »Fast. Den Landrat.«

III
    »Bœuf de couleurs variées de l’Ahr«
    Antworten auf seine Fragen würde Julius im Wasser finden.
Denn dort hielt sich der Mann auf, der sie kannte: August Herold. Christine
hatte ihm am Telefon erklärt, dass ihr Göttergatte es nicht länger abwarten
könne, die ersten Lachse des Jahres zu sehen, welche von Oktober bis in den
Dezember hinein an ihre Geburtsstätte zurückkehrten. Deshalb musste Julius nun
am frühen Morgen Richtung Osten fahren, den Flusslauf entlang, vorbei an
Landskrone, Heuberg und Lohrdorfer Kopf, bevor er in Bad Bodendorf das Ufer
wechselte und den Wagen nahe dem Wehr parkte. Es regnete so stark, dass Julius
die Spitzen der Weinberge nicht ausmachen konnte. Er friemelte die Kapuze aus
dem Kragen der dunkelblauen Babour-Imitat-Jacke und stieg aus dem Audi. Julius
liebte Regen – solange ihn die Jacke warm und trocken hielt.
    Alle Farben waren aus dem Ahrtal verschwunden. Aber ähnlich einem
Schwarzweißfoto ließen sich jetzt die wunderbaren Formen und Strukturen
erkennen, wirkte die Ahr, die Natur, wilder und ursprünglicher. Der Mühlenberg
lag faul, wie ein fernes Gebirge, am Horizont. Die Ahr war nur noch ein Spiel
aus Hell und Dunkel. Es war, als umgäben sie Mythen und Geheimnisse, als würde
sie erst jetzt, vom Regen geschützt, ihr wahres Alter preisgeben, ihre dunkle,
ungezähmte Seele, die sie im Sonnenschein vor den Besuchern zu verbergen
suchte. Inmitten dieser Natur fand sich eine kleine Figur, die mit festem Stand
im von unzähligen Regentropfen aufgerauten Wasser stand, einen großen Käscher
in der Hand. Julius stapfte näher über den aufgeweichten Boden, froh über die
wohlige Wärme der Gummistiefel. Erst als er am Ufer des Wehrs ankam, nahm ihn
Herold wahr.
    »Julius! Was führt dich denn hierher?«
    »Ich wollt mir nur einen Lachs angeln, für die Tageskarte.«
    »Meine Lachse isst keiner! Noch nicht mal ich. Aber ich kann dir
gern ein paar Algen fischen!« Herold lachte, blickte jedoch nicht auf, sondern
führte den Käscher konzentriert wie ein Minensuchgerät über das Wasser.
    »Und, schon einen gesehen?«, fragte Julius.
    »Nee, ich werd wahrscheinlich auch keinen sehen. Wir hatten in all
den Jahren erst dreizehn Rückkehrer, obwohl wir eine Million Brütlinge
ausgesetzt haben – das musst du dir mal vorstellen!«
    Julius suchte nun auch das Wasser ab, konnte aber nichts erkennen
außer dem Grund und den Lava-Steinen, die im Flussbett versenkt waren, damit
die Lachse den Aufstieg auch bei Niedrigwasser schafften.
    »Wo kommen die Burschen eigentlich her?«
    »Die Rückkehrer stammen von der Westküste Grönlands, aber
ursprünglich sind die ausgesetzten Lachse in Frankreich beheimatet. Die haben
wir aus den Flüssen Adour und Nieve geholt. Wunderschöne Gegend, sag ich dir!«
    »Das ist dann ja ‘ne richtige französische Invasion.«
    »Ach, woher! Mittlerweile sind das doch Immis.« Herold lachte
wieder.
    Es war an der Zeit, die gute Nachricht zu überbringen, dachte
Julius, um Herold für die folgenden Fragen weich zu machen.
    »Das mit François geht übrigens klar. Er kommt heut schon mal bei
dir vorbei, um den Betrieb kennen zu lernen. Wenn er in der Hektik das erste
Mal dabei wäre, hättest du bestimmt keine Zeit, ihm alles zu zeigen.«
    Herold blickte immer noch

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