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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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zu sein wie das »Sanct Paul«. Mit seinem
feinbürgerlichen Restaurant Winzerkirche, dem nach dem Besitzer benannten
Gourmettempel und der rustikalen Kaminstube. Dazu die wundervoll eingerichteten
Veranstaltungsräume, ja sogar eine Vinothek fand sich hier, da die Familie zu
einem der größten Weinversender Deutschlands herangewachsen war. Die
Bassewitzens hatten schon versucht, ihn als Koch einzukaufen, aber so
verlockend die Vorstellung war, so wertvoll war Julius doch die
Selbstständigkeit. Mit diesem Gedanken tröstete er sich auch jetzt, während die
Pracht an ihm vorüberglitt. In der Kaminstube fand sich die illustre Runde,
derentwegen er gekommen war. Der inoffizielle Stammtisch der besten
Restaurateure des Tals. Der Besitzer des gastgebenden Hauses, Gerdt Bassewitz,
wie stets eine Montechristo Nr. 3 schmauchend, hatte es
sich in dem mit feinem Stoff bespannten Stuhl direkt am Kamin bequem gemacht.
Außerdem noch zugegen: Tommy Prieß, der Revoluzzer vom »Himmel und Äd«, der,
wie es seinem Publikum entsprach, in Jeans und Holzfällerhemd gekleidet war.
Seinem Ruf als Großer Grummler des Tals entsprechend, trug er die Mundwinkel
auf Kinnhöhe. Als Julius eintrat, winkte ihm Antoine Carême vom »Frais
Löhndorf«, der auch ohne Kochmütze aussah wie ein kleiner, lustiger Schlumpf,
fröhlich zu. Er setzte sich auf den einzigen noch freien Stuhl neben
Hans-Hubert Rude vom »Bahnhof« Bad Neuenahr. Das Gespräch war bereits in vollem
Gange, und das Thema überraschte Julius wenig. Bassewitz warf ihm direkt den
Ball zu.
    »Da kommt ja unser heißester Anwärter!«
    Julius mochte die Position des Spitzenreiters nicht. Sie bedeutete
auch, der Gejagte zu sein. Das war in der Gastroszene nicht anders als in der
Fußballbundesliga.
    »Nana! Antoine hat dieses Jahr auch gute Chancen!«
    Dieser wehrte jedoch mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. »Denen
ist mein Küche zu kräuterlastig. Die wollen immer nur Salz, Salz, Salz –
als ob wir Kühe wären!«
    Hans-Hubert Rude prostete Julius zu. »Dieses Jahr schaffst du es
bestimmt! Und dann verrätst du uns mal ein paar Rezepte aus deiner
Vor-Stern-Phase!«
    Alle lachten lauthals, denn das war tatsächlich ein guter Witz. Als
würde ein Zauberkünstler einen seiner Tricks verraten!
    Bassewitz lehnte sich vor und fragte in brüderlichem Tonfall: »Nu
sag mal ehrlich, Julius. Warum willst du eigentlich den Stern? Voller als voll
kann dein Restaurant ja nicht werden. Und groß anheben kannst du die Preise
beim Publikum hier auch nicht.«
    Antoine saß mal wieder der Schalk im Nacken. »Es ist den Ehrgeiz!
Unser guten Julius ist von den Ehrgeiz zerfressen. Mit jeder Haar weniger auf
seinen Kopf nimmt den Ehrgeiz zu!«
    »Na, dann schau dich mal an!«, meldete sich nun Prieß zu Wort, den
Witz mal wieder nicht verstehend.
    »Ihr wollt es wirklich wissen?«, fragte Julius und erntete
einhelliges Nicken.
    »Natürlich ist auch eine gute Portion Ehrgeiz dabei – und da
muss man, find ich, keinen Hehl draus machen. Aber es hängt auch mit meinem
Vater zusammen. Ihr kennt ihn ja.«
    »Den vergisst man nicht, wenn man ihn mal getroffen hat!«, sagte
Bassewitz schmunzelnd.
    »Ja, so einer ist er, genau. Und ihr wisst auch, wie gern er tafelt.
Kann man nicht übersehen bei meinem alten Herrn. Sagt zu keiner Sauce nein,
auch früher nicht, als noch richtig fett gekocht
wurde. Er liebt das. Wenn er damals unterwegs war, ist er immer in die besten
Häuser gegangen.«
    »Und dein Vater war viel unterwegs!«
    Bassewitz schenkte allen noch etwas aus der Karaffe mit seinem
besten Dornfelder ein.
    »Ja, zu viel. Unser Verhältnis war nicht so innig, wie ich’s gern
gehabt hätte, aber das war eine andere Zeit.«
    Es fiel Julius normalerweise schwer, sein Herz auszuschütten, aber
in dieser Runde fühlte er sich wohl, von verwandten Seelen umgeben. Ein wenig
beschlich ihn ein Gefühl wie zur Schulzeit. Dies war auf eine merkwürdige Art
und Weise seine »Klasse«. Menschen, die denselben Tagesablauf hatten, sich mit
denselben Ärgernissen rumschlugen. Es bedurfte nicht vieler Worte. Ihnen konnte
er es erzählen.
    »Das Essen war unser einziges gemeinsames Hobby. Damals wollt ich ja
noch Buchhalter werden, oder besser: Prokurist. Zahlen hab ich immer schon
geliebt, mein Vater kann damit gar nichts anfangen. Aber er ist immer mit
Mutter und mir gut essen gegangen, hat bestellt, ohne uns zu sagen was, und wir
mussten dann raten. Was war er stolz, wenn ich richtig lag! Da glänzten

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