In Vino Veritas
große, knorpelige Haken. Mensch,
komm rein, Julius! Fass ihn mal an, bevor ich ihn wieder freilasse!«
Aber da konnte Herold so viel bitten, wie er wollte. Julius hatte
seine Grundsätze.
»Fische, bleib mir bloß weg damit! Die pack ich lebend nicht an!
Eisgekühlt immer, aber wenn die zappeln und einen so angucken. Das ist nichts
für mich. Ich bin schließlich Koch und kein Aquarianer!«
Wie viel Fingerspitzengefühl hatte die deutsche Exekutive?
Auf der Fahrt von Bad Bodendorf zum Dernauer Friedhof hatte Julius sich
vorgestellt, wie Gisela in Handschellen und mit Begleitung Uniformierter zur
Beerdigung käme. Das durften sie ihr nicht antun! Als er von der Schmittmannstraße
in die mit Wagen der Begräbnisgäste voll geparkte Friedensstraße abbog, schien
sich die Befürchtung zu bewahrheiten. Ein Polizeitransporter stand unübersehbar
auf dem Mittelstreifen. Nachdem Julius in der Römerstraße in der zweiten Reihe
geparkt hatte, versuchte er, auf dem Weg zum Friedhof Gisela zu erspähen. Aber
die letzte Ruhestätte der Dernauer war so voll, als würde das Winzerfest in
diesem Jahr dort stattfinden. Alle waren gekommen, um dem großen Erneuerer die
letzte Ehre zu erweisen. Julius hatte nicht darauf geachtet, aber etliche
Geschäfte mussten geschlossen haben, denn Dernaus gesamter Einzelhandel war
vertreten: Ob von Gärtnerei, Metzgerei, Fahrradladen, dem Quellegeschäft oder
dem Sparmarkt – die Geschäftsführung stand in dunklem Anzug in der Menge.
Der Tambourcorps »Blau-Weiß« und der Theaterverein »Eintracht« hatten sich
nicht lumpen lassen und für Kränze zusammengelegt. Das hätte Siggi gefallen,
dachte Julius, während er am äußersten Rand der Menschenmasse Aufstellung
bezog. Seinen großen Abgang hätte er sich genau so gewünscht. Julius war sich
sicher, dass das verträumte Weindorf dergleichen noch nie erlebt hatte. So viel
Presse wurde sonst nicht einmal den Lebenden zuteil. Immer wieder blitzte es,
das trübe Wetter nur kurz aufhellend.
Erst als die Prozession von der Kirche kam und die Menge sich, einen
schmalen Weg freigebend, teilte, sah er Gisela. Ohne Handschellen, wenn auch in
Begleitung. Diese war dezenterweise in Zivil. Den beiden Männern drang ihre
Aufgabe aber aus allen Poren.
Niemand traute sich, Gisela ins Gesicht zu schauen. Auch ihr Blick
haftete am Boden, der Körper von Tränenschüben durchgeschüttelt. Hinter ihr
große Teile der Sippe, enger mit Gisela verwandt als Julius, und auch der
Kellermeister.
Julius ging gemessenen Schrittes auf Markus Brück zu, sich der
Prozession anschließend.
»Ich weiß, dass der Brief von Ihnen stammt.«
Die Augen, in die er nun blickte, verrieten alles. Und mehr. Denn
solche Angst hatte er dort nicht erwartet. Julius setzte nach.
»Lassen Sie uns reden. Sobald wie möglich. Sonst wird ihr
Ordensmeister alles erfahren.«
Jeder Tag, den Gisela länger in der JVA war, und noch wichtiger, den sie länger unter Verdacht stand, war ein Tag zu
viel. Wenn er dem Kellermeister etwas auf die Füße treten musste, damit dieses
unwürdige Spiel endete, dann würde er es tun. Julius ließ sich zurückfallen und
folgte der Trauergemeinde. Beerdigungen waren nichts für ihn. Er trauerte stets
für sich, und so warf er die Erde nur mit einem stillen Gruß auf Siggis Sarg.
Plötzlich legte sich von hinten eine Hand auf seine Schulter.
»Herr Eichendorff, kann ich Sie mal sprechen?«
Es war Frau von Reuschenberg. Die Augen der Kommissarin waren
verquollen von Tränen. Julius reichte ihr instinktiv ein Taschentuch.
»Danke. Ich muss bei Beerdigungen immer weinen.«
»Nehmen Sie es mir nicht übel, aber Sie sollten lieber weinen, weil
Sie die Falsche in U-Haft haben.«
»Darüber will ich mit Ihnen reden. Gehen wir ein paar Schritte.«
Während von Reuschenberg die Tränen trocknete, schlugen sie den Weg
zur Ahr hinunter ein. Julius machte einen taktischen Umweg am Kellermeister
vorbei, dem er zunickte. Dieser sollte ruhig wissen, mit wem er sprach.
»Ich weiß nicht, warum ich gerade mit Ihnen darüber reden will. Ich
hoffe einfach mal, dass mich meine Menschenkenntnis nicht täuscht. Außerdem
wüsste ich auch nicht, wen ich sonst zu Rate ziehen sollte.«
Von Reuschenbergs Offenheit rührte Julius an, und ein tief
verwurzelter Beschützerinstinkt kam in ihm durch. Er lächelte sie aufmunternd
an, soweit es der traurige Anlass zuließ.
»Ich werde mein Bestes geben!«
»Seit ich hier bin, laufe ich nur gegen Mauern. Ich hab
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