Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
Vom Netzwerk:
mir nur
auf.«
    Bäcker senkte seine Stimme. »Ich weiß nichts von irgendeinem
Schriftzug auf irgendeinem Fass. Verdient hätte es der Siggi aber. Unlauterer
Wettbewerb ist kein Kavaliersdelikt. Kein Wunder, dass da wer wütend geworden
ist. – Und, Julius, wenn du in die Weinbruderschaft willst, solltest du aufpassen,
was du wo fallen lässt. Mit üblen Gerüchten macht man
sich keine Freunde. Im Gegenteil.«
    Wie auf Knopfdruck erschien wieder Bäckers Politikerlächeln. »Es war
schön, dich mal wieder getroffen zu haben. Ich muss jetzt regieren gehen.
Wünsche noch angenehme Wasserfreuden!«
    Die würde Julius nicht haben. Nicht nach dieser Drohung. Zeit hatte
er für Wasserfreuden ohnehin nicht. Es galt weiterzuermitteln, bevor auch er
regieren gehen musste – in der Küche. Einen kleinen Umweg auf dem Weg zum
Ausgang machte er allerdings doch. Zu den Massagedüsen. Diesen Spaß konnte er
sich nicht entgehen lassen. Dafür, dachte Julius, würde er hoffentlich nie zu
alt sein.
    Ein von einem unachtsamen Wanderer zerstörter
Ameisenhaufen konnte nicht chaotischer wirken. Im Weingut Schultze-Nögel liefen
alle herum, und keiner schien ein Ziel zu haben. Alle taten etwas, nur niemand
die Arbeit. Julius blickte eine Zeit lang von außen in den Betrieb, halb
verdeckt durch einen der Flügel des großen Eingangstors. Mitten im Chaos
entdeckte er eine Person, die er hier nicht erwartet hatte. August Herold stand
wie ein Fels in der Brandung mitten im Trubel, Listen in der Hand, ab und an
durch den Raum brüllend. Hatte er so schnell seine Finger auf das Renommiergut
bekommen? War die Schamfrist so kurz gewesen?
    Julius hielt inne.
    Wo kamen nur all diese Verdächtigungen her? Das waren doch alles
keine Fremden und auch keine Menschen, die bekannt waren für ihre dunklen
Abgründe. Nein, es waren Freunde oder zumindest Bekannte. Wie schnell das
Misstrauen in ihm gewachsen war. Oder fiel es nur auf fruchtbaren Boden? War
ihm vielleicht jeder Verdächtige recht, solange es nicht Gisela war? War auch
er, Julius, der Versuchung erlegen, möglichst schnell einen Schuldigen
auszumachen, an dem er sich festbeißen konnte wie an einem zähen Steak?
Vielleicht verrannte er sich auf der falschen Spur. Vielleicht war es Gisela ja
wirklich gewesen. Was lag schließlich näher? Ein mehr als gutes Motiv, kein
Alibi, ein verheerender Streit, ein besudeltes Nachthemd. Und eins plus eins
konnte doch manchmal auch zwei sein?
    Herold schien den Ameisenstaat langsam wieder in sinnvolle Bahnen zu
lenken. Die Gesichter verloren ihren fragenden Blick, nachdem sie mit ihm
sprachen, die Stimmung wurde peu a peu ruhiger. Doch Unbehagen lag über allem,
und Angst. Wer wollte es verdenken, nachdem so viel Blut durch das Weingut
geflossen war. Und doch durfte sich niemand der Trauer hingeben, trieben die
Trauben, trieben Most und Wein ohne Unterlass zur Arbeit, drohten mit dem
eigenen Tod, dem eigenen Dahinscheiden, wenn man sie nicht hätschelte und
pflegte.
    In der Flasche wirkten sie so unschuldig und köstlich.
    Eine schmale Hand legte sich auf seine Schulter.
    »Willst du mithelfen?«
    Julius drehte sich um und sah in das Gesicht seiner Großkusine. Sie
zwang sich ein Lächeln heraus. Gisela wirkte gezehrt, die Wangenknochen
zeichneten sich im abgemagerten Gesicht deutlich ab.
    »Ich wollte zu dir. Wir müssen reden.«
    Gisela nickte. Erst jetzt bemerkte Julius den stämmigen Mann, der es
in Jeans und Hemd gekleidet schaffte, so auszusehen, als gehöre er nicht
hierher. Vermutlich Begleitschutz.
    »Im Probenraum können wir uns hinsetzen.«
    »Ungestört?«, fragte Julius mit Blick auf Giselas stillen Begleiter.
    »Er wartet vor der Tür.«
    Als sie allein im Raum waren, platzte Julius mit der
offensichtlichen Frage heraus.
    »Was macht August hier?«
    Gisela ließ sich auf einen der hölzernen Stühle fallen, die um den
schweren Eichentisch in der Mitte des Raums standen. Es war, als hätte jemand
die Schnüre einer Marionette durchschnitten. Sie sackte in sich zusammen, die
Ellbogen auf die Tischplatte gestützt, die Hände die Stirn haltend.
    »Er hilft mir aus. Ich weiß nicht, was ich sonst machen würde.«
    Und das, dachte Julius, obwohl Herold selber nicht wusste, wohin mit
der Arbeit. Respekt. Aber vielleicht steckte mehr dahinter als nur
Hilfsbereitschaft.
    »Hat er sich selbst angeboten?«
    »Ja, direkt nachdem Markus …« Sie schluckte hörbar.
    »Wenn du Hilfe brauchst …«
    »Ach, Julius … ich weiß nicht mehr, wo mir

Weitere Kostenlose Bücher