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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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der Kopf steht. Es
ist so viel passiert, so viel. Und das Schlimme daran ist, dass ich noch nicht
einmal weiß, was ich damit zu tun habe. Weißt du, das macht mich fertig. Was
ist, wenn ich es wirklich war?«
    Sie begann zu weinen. Julius nahm ihre Hände behutsam in die seinen.
    »Nun red kein dummes Zeug! Selbst betrunken würdest du so was
niemals machen, geschweige denn schaffen!«
    »Ich war so wütend auf ihn! Weil diese blöde Schlampe von Geliebte
angerufen hatte!«
    Eine so deutliche Sprache war Julius von seiner Großkusine nicht
gewohnt.
    »Sagt mir rotzfrech, Siggi würde mich nicht mehr lieben und ich
würde es ja auch im Bett nicht bringen. Solche Sachen! Der hab ich aber was
erzählt. Und dann hab ich dem Siggi die Hölle heiß gemacht, aber wie! Diese
ewige Fremdgeherei! Ich hab das ja immer weggedrückt, aber als er im Frühjahr
auch noch mit dem Hans-Hubert nach Burgund gefahren ist, da wurd’s mir
endgültig zu viel. Angeblich zur Bootstour unter Männern, weißt du! Da ist er
bestimmt auch mit dieser Tussi hin! Aber aus dem Hans-Hubert kriegst du ja
nichts raus. Der hält dicht. Marienthaler Sturkopf! Würde nie seinen Freund verpfeifen. Toll, eure Männerfreundschaften! Ganz groß!«
    Sie ballte ihr Gesicht wie eine Faust. Julius konnte alle Wut
erkennen, die sich dahinter in den Jahren aufgestaut hatte. Aber er wusste,
dass er diese nicht würde lösen können.
    »Weißt du, wer sie ist?«
    »Nein. Hat sie nicht gesagt. Es ging alles so schnell. Ich hab dann
auch aufgelegt.«
    Julius unterdrückte den Ärger über diese Entscheidung. »Hat Siggi
mal von Trennung gesprochen?«
    Das blanke Entsetzen stand in Giselas Gesicht. »Nein, Julius. So weit war es trotzdem noch nicht. Für keinen von uns.«
    Sie starrte in die dunkle Ecke des Raums, starrte in die
Vergangenheit. Julius wollte nach einem Verhältnis mit Brück fragen, aber
schaffte es nicht. So etwas konnte er ihr nicht unterstellen, selbst wenn es
darum ging, ihr zu helfen. Diesen Weg konnte er nicht gehen. Brück hatte
wahrscheinlich nur helfen wollen, redete sich Julius ein. Unter Freunden.
    »Weißt du etwas von einem Anwaltstermin?«
    Sie blickte ihn an. »Das hat mich die Polizei auch schon gefragt.«
    »Und?«
    »Ja, da war was. Es ging, glaub ich, um irgendeine
Weinbergsparzelle. Wie kommst du jetzt darauf?«
    »Egal. Mach dir keine Gedanken drüber.«
    Hier passten zwei Geschichten nicht zusammen. Die anonyme Anruferin
hatte von einem Scheidungstermin gesprochen, Gisela von einem geschäftlichen.
Er fühlte, dass er seiner Großkusine glauben konnte. Oder ihr glauben wollte?
Halt deine Emotionen raus, dachte Julius, sie vernebeln nur den Blick auf das
teuflische Spaghettiknäuel.
    »Weißt du vielleicht, ob noch jemand bei Siggi war, tagsüber, bevor
er …«
    »Nein«, sie trocknete sich die Tränen mit den Händen, »das hat die
Polizei auch schon gefragt. Nur die Mitarbeiter waren da, es war doch so viel
zu tun. Und Siggi ist keinen Schritt aus dem Haus gegangen.«
    »Wie war eigentlich seine Beziehung zu Markus? Gut?«
    »Fast väterlich. In letzter Zeit vielleicht nicht mehr so ganz, aber
die zwei waren eigentlich ein Herz und eine Seele.«
    »Kein Streit?«
    » Julius !« Sie blickte ihn vorwurfsvoll an.
»Willst du dem armen Markus was andichten? Der war’s bestimmt nicht!«
    Die heikelste Frage ließ sich nun nicht länger umgehen. »Gisela, du
musst jetzt ehrlich zu mir sein. Auch wenn’s unangenehm ist. Der Siggi hat
irgendwas Ungesetzliches gemacht. Mit Wein. Und es könnte was mit seinem Tod zu
tun haben. Was weißt du davon?«
    »Wer hat dir das erzählt?« Furcht ersetzte die Trauer in ihrem
Gesicht.
    »Die Weinbruderschaft.«
    »Ich hab Siggi tausendmal gesagt, er soll es lassen. In einem so
kleinen Tal konnte das ja nicht geheim bleiben!«
    Sie stand auf und bedeutete Julius, ihr zu folgen. Sie gingen durch
die große neue Halle, in der Herold mittlerweile Freude am Kommandieren anderer
Arbeiter zu finden schien, hinaus zu einer Palette leerer Flaschen, die mit
Folie umschweißt am Gebäude stand.
    »Ein teures Männerspielzeug ist das. Und ständig die Angst, einer
kriegt es raus. Wie leicht ist das passiert. Aber Siggi wollte eben eine ›neue
Generation deutscher Rotweine‹ erzeugen. So hat er immer gesagt. Noch dichter
würden die sein, noch konzentrierter. Und seit dem letzten Jahrgang …«
    Sie zog eine dicke, gelbe Plane, die vom Regen voll gelaufen und
beschmutzt war, von einer Apparatur, die neben

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