In Vino Veritas
zuzugeben, dass er nicht genau wusste, was hinter der Sache steckte.
François genoss sichtlich die Aufmerksamkeit seiner beiden Vorgesetzten.
Demonstrativ verschränkte er oberlehrerhaft die Arme vor dem schmächtigen
Brustkorb.
»Also, da stellen wir uns einmal ganz dumm – das dürfte
Franz-Xaver ja nicht schwer fallen. Die Umkehrosmose ist eine Möglichkeit der
Mostkonzentration. Dabei geht es, wie der Name schon sagt, darum, den Most zu
konzentrieren. Und wie macht man das? Indem man ihm Wasser entzieht. Dadurch
werden alle übrigen Inhaltsstoffe konzentriert. Als da wären: Zucker,
Gerbstoffe, Extrakt, Glyzerin – also all das, wovon ein guter Wein
eigentlich nicht genug haben kann. Wenn man einem Wein also Wasser entzieht,
wird er dichter. Anders ausgedrückt: besser.«
»Und warum is des in Deutschland net erlaubt?«, fragte Franz-Xaver.
»Weil es den Jahrgangscharakter verwischt. In Deutschland ist ein
Wein vor allem Ausdruck des Bodens und des Klimas. Mit Hilfe der
Mostkonzentration ist er – obwohl vielleicht besser als ohne –
Ausdruck der Fertigkeiten des Kellermeisters. In der Neuen Weinwelt, also
Amerika, Südafrika oder Australien, ist das Verfahren übrigens erlaubt. In
Frankreich auch, sogar bei den großen und teuren Bordeaux-Chateaus. Redet nur
keiner drüber.«
All das war Julius nicht neu. Was ihn interessierte, war, wie die
Anlage bei Schultze-Nögels genau funktionierte.
»Aber was steckt technisch hinter der Umkehrosmose?«
»Das Gerät arbeitet nach einem ähnlichen Prinzip wie eine
Meerwasserentsalzungsanlage. Die Kunststoffmembrane darin enthält so feine
Öffnungen, dass ausschließlich Wasser, aber keine größeren Mostinhaltsstoffe,
wie zum Beispiel Zucker, Säuren oder Aromastoffe, die Membran durchdringen
können. Mittels hohem Druck wird dem Most auf diese Weise ein Teil des Wassers
entzogen. Man kann das auch durch Vakuumverdampfung machen. Da werden dem Most
unter sehr niedrigem Druck und dementsprechend Siedetemperaturen von weniger
als 25 Grad ein paar Prozent Wasser abgezapft.«
Franz-Xaver machte sich seinen Reim auf die Angelegenheit: »Na,
bravo! Des heißt mit andern Worten: Ein Winzer kann aus jeder Plörren einen
großen Wein machen! Und alle schmecken’s nachher gleich!«
François schüttelte weise sein junges Haupt. »So einfach ist es
wieder nicht. Auch negative Inhaltsstoffe werden konzentriert, zum Beispiel
unreife Töne. Nur bei guten Qualitäten macht es Sinn, den Most zu
konzentrieren.«
Julius zählte eins und eins zusammen. »Also hat Siggi seine letzten
Weintrophäen mit Hilfe des kleinen Maschinchens gewonnen. Deswegen konnten die plötzlich
auch mit der Konkurrenz aus Übersee mithalten …«
»Und deswegen wirkten sie so undeutsch!«, fügte François hinzu. »War
halt kein echtes Naturprodukt, sondern mehr eins der Kellertechnik.«
Julius hatte eine Idee.
»Hol doch mal zwei Flaschen von Siggis Topwein. Eine vom letzten
Jahr und eine aus dem davor.«
Jetzt wollte er es wissen! Dann musste das Jus eben warten. Obwohl
Julius sich schon darauf freute, die Knochen klein zu hacken und in Olivenöl
anzubraten. Dann die ungeschälten Knoblauchzehen und die komplette Marinade
dazuzugeben, samt Lorbeerblättern, Thymian, Salz und Pfeffer. Und natürlich:
Rotwein. Nicht zu knapp. Dann würde es wieder warten heißen, anderthalb
Stunden, bevor er alles durch das Spitzsieb passieren konnte. Julius ging alle
Arbeitsabläufe im Kopf durch, während er auf den Wein wartete.
François erschien mit zwei Flaschen, die er flink mit seinem
Laguiole-Kellnermesser öffnete. Er goss die Kreszenzen in große
Burgunderkelche.
»Ratet mal!«
Julius schaute die Weine an, schnüffelte daran, sog sie in seinen
Mund und kaute darauf. Er ließ sich Zeit, aber es gab keinen Zweifel. Julius
war verblüfft: Es war dieselbe Rebsorte, mit derselben Prädikatsstufe, aus
derselben Lage, aus zwei gleich starken Jahrgängen. Und doch …
»Eindeutig. Der rechte ist besser. Viel voller, intensiver …«
»Sinnlicher!«, schlug Franz-Xaver, der mitprobiert hatte, vor.
François lächelte triumphierend. »Konzentriert!«
Julius nickte. Kein Wunder, dass das eine Revolution war. Und kein
Wunder, dass Siggi sich dafür Ärger eingehandelt hatte. Doch Julius musste
zugeben, dass er noch niemals einem Beschiss begegnet war, der so wundervoll
roch.
Rheinischer Sauerbraten. Wenn er gut war, dann war er ein
Gedicht. Mundart im wahrsten, im leckersten Sinne.
Und hier war er
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