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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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Denn viele, die im Tal
unterwegs waren, kauften hier ihre flüssigen Andenken. Dies war die mächtige
AhrWein eG. In den siebziger Jahren durch den Zusammenschluss mehrerer
Winzervereine entstanden, gehörte ihr heute ein Drittel aller Weinberge im Tal.
Insgesamt einhundertsiebzig Hektar wurden von rund sechshundert Winzern
bearbeitet. Damit war die Genossenschaft mehr als zehnmal so groß wie das
Weingut Schultze-Nögel. Ein echter Riese, eine andere Weinbaudimension, und das
sah man dem Hauptquartier deutlich an. Das rechtwinklige Gebäude wurde
abgeschlossen von einem futuristischen Glasturm, der raketenähnlich in den
blauen Himmel schoss. Auf der Vorderseite prangte das in Rot gehaltene Symbol
der Genossen: ein halbes Glas, das von einer halben Rebe ergänzt wurde. Der
grüne Schriftzug der AhrWein quer darunter. Julius erinnerte sich daran, wie er
nachts erstmalig an diesem Neubau vorbeigefahren war und ihn für eine Disco
gehalten hatte. Denn im Dunkeln leuchteten Symbol und Schriftzug in knalligen
Neonfarben. Gott sei Dank hatte die AhrWeinin den
letzten Jahren nicht nur an ihrem Auftreten, sondern auch an der Qualität ihrer
Weine gearbeitet. Julius spielte mit dem Gedanken, ihren trockenen
Barrique-Frühburgunder von der Lage Bachemer Karlskopf auf die Karte zu nehmen.
Ein herrlich süffiger und schmeichelnder Wein. Vielleicht hatten sie ja gerade
eine Flasche davon auf …
    Er ging die wenigen Treppenstufen zum Eingang hoch und trat
unvermittelt in die Welt des modernen Ahrweins. Der Verkostungsraum stand dem Außendekor
in Sachen Modernität in Nichts nach. Im Gegenteil, einer Modeboutique gleich
wurden hier die Weine präsentiert. In einem klinisch weißen Raum mit viel Platz
und moderner Punktbeleuchtung. Und so sauber, dass problemlos Notoperationen am
offenen Herzen auf der Theke durchgeführt werden konnten. Julius ging zum
Tresen, hinter dem eine junge, gut geföhnte Frau stand und verkaufsfördernd
lächelte.
    »Einen wunderschönen guten Tag! Kann ich Ihnen ein Glas Wein
anbieten?«
    Geschickt, dachte Julius. Hier wurde nicht gefragt, ob man helfen
könne, sondern direkt, ob man helfen könne, den Alkoholgehalt im Blut zu
steigern. Denn je mehr davon im Lebenssaft floss, umso natürlicher erschien der
Griff zum Portemonnaie.
    »Aber gerne! Haben Sie vielleicht den Frühburgunder vom Bachemer
Karlskopf offen?«
    Er erntete ein spöttisches Lachen. Es klang, als würde jemand Glas
mit einer stumpfen Klinge bearbeiten. Die Verkäuferin warf ihren Kopf in den
Nacken und richtete die Frisur.
    »Den öffnen wir nur für besondere Kunden. Sie können aber gerne eine
Flasche kaufen und ihn zu Hause probieren.«
    Er war also kein besonderer Kunde. Damit
konnte Julius leben. Vergünstigungen waren ihm eh ein Gräuel. Also musste er
vollkommen nüchtern an sein so ernüchterndes Tagwerk gehen.
    »Nein, danke. Ich bin auch eigentlich nicht wegen des Weines hier.«
    Das Gesicht der jugendlichen Schönheit verlor mit einem Mal alle
Freundlichkeit. Julius versuchte, davon unbeeindruckt zu sein, was ihm jedoch
schwer fiel.
    »Ich wollte Sie fragen, ob es möglich wäre, eines von diesen
Plakaten bei Ihnen aufzuhängen?« Er hielt es in die Höhe. »Es ist sehr wichtig
für mich.«
    Schon während er dies sagte, wusste Julius, dass er gegen eine Mauer
lief.
    »Das mag ja sein, dass das für Sie persönlich sehr
wichtig ist, aber wir machen so was nicht. Was meinen Sie, wie viele Leute hier
jeden Tag ankommen, weil sie irgendwas aufhängen wollen? Wenn wir bei allen
›Ja‹ sagen würden, könnte man den Wein vor lauter Aushängen nicht mehr
sehen. – Auf Wiedersehen.«
    Das war deutlich. Er war hier fortan unerwünscht, eine Persona non
grata. Dann musste er eben schwerere Geschütze auffahren.
    »Ich möchte den Geschäftsführer sprechen.«
    »Der ist zurzeit nicht da.«
    Die Mauer wurde immer höher. Aber Julius wusste, dass er den
richtigen Hammer zum Zerschmettern in der Hand hielt.
    »Lügen Sie mich doch nicht an! Ich habe seinen Wagen draußen
gesehen. Sagen Sie ihm, Julius Eichendorff sei da und wolle ihn sprechen.«
    Wie gut, dass der Geschäftsführer der AhrWein einen ausgefallenen
Geschmack hatte. Sein protziger roter Porsche war unter Winzern Legende. Die
junge und nun gar nicht mehr so hübsch wirkende Dame zog die Lippen kraus.
Diese Wendung schmeckte ihr überhaupt nicht. Aber sie nahm das Telefon in die
Hand. Und sie wählte eine Nummer. Und sie sagte den von Julius diktierten Text.
Dann

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