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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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seines Vokabulars, »eine Spur führt zu Siggis Geliebter. Nun ist über die Frau aber nichts in Erfahrung zu
bringen. Und da du einer von Siggis besten Freunden warst …«
    Hans-Hubert hob abwehrend die Hände. »Da kann ich auch nicht
weiterhelfen. Über so was haben wir nie gesprochen. Das hätte ich auch nicht
gewollt. Siggi wusste, wie ich dazu stehe. Die Ehe ist, auch wenn das jetzt
altmodisch klingen mag, heilig. Siggi wollte von mir sicher nicht die Leviten
gelesen bekommen.«
    Julius war verwundert und setzte sich aufrecht. »Aber du warst doch
mit Siggi und seiner Geliebten auf Bootstour?«
    Hans-Hubert zog seine Krawatte zurecht. »Wie bitte? Wie kommst du
denn auf so was?!«
    »Gisela hat’s mir erzählt. Meinte aber, du würdest alles abstreiten.
Ich hatte gehofft, bei mir machst du eine Ausnahme …«
    »Also, Julius, da muss ich dich enttäuschen. Bei uns war niemand. Es
war eine ganz harmlose Bootstour unter Freunden. Mit Weinproben, gutem Essen,
faulenzen – und ohne Frauen.«
    »Das kann man sich bei Siggi gar nicht vorstellen.«
    »Er hat natürlich der ein oder anderen – na gut: allen halbwegs
passablen Damen hinterhergeschaut. Auch mal gepfiffen, man glaubt es nicht.
Aber das war’s auch schon.«
    Hans-Hubert rückte seinen Stuhl näher zu Julius. »Ich glaube, du
bist auf der falschen Spur. Man soll ja nicht schlecht von Kollegen reden, aber
es ist allseits bekannt, dass Siggi mehr als einen vor den Kopf gestoßen hat.
Einfach den Weinhahn zugedreht. Es gibt Betriebe, die können so was verkraften,
andere nicht.«
    »Kannst du etwas deutlicher werden?«
    Hans-Hubert rückte wieder weiter weg und hielt die Hände abwehrend
in die Höhe. »Es sind bloß Gerüchte! Aber das wäre
für mich ein glaubhaftes Motiv. Wenn man wüsste, wem er kurz vor seinem Tod die
Zuteilung gestrichen hat. – Na ja, vielleicht auch nicht.«
    Vielleicht doch, dachte Julius. Hans-Hubert Rude war niemand, der
leichtfertig andere beschuldigte. Und ein solches Motiv wäre mehr als
stichfest. Manche Restaurateure des Tals hatten sämtliches Geld in ihre
Gaststätten gesteckt. Ohne Weine des Rotweinmagiers, die von den Gästen
natürlich verlangt wurden, konnten sie dicht machen. Erst jetzt wurde Julius
bewusst, wie viele Feinde sich Siggi mit der Zeit gemacht hatte.
    Ein Geruch brachte ihn wieder auf andere Gedanken. Ein
verführerisches, süß-säuerliches Odeur wehte heran, und selbst der steife
Hans-Hubert taute bei der Vorfreude auf diese Köstlichkeit regelrecht auf.
    »Ich sollte das im ›Bahnhof‹ auch auf die Karte nehmen. Aber so, wie
es früher gekocht wurde, mit echtem Pferdefleisch – das müsste doch die
Runde machen, oder?«
    Julius nickte. Eine gute Idee. Das würde bestimmt die Runde machen,
und er würde es Hans-Hubert Rude von Herzen gönnen.
    Dieser Teil der Ermittlungen war der bisher mit Abstand
unangenehmste.
    Julius hätte sich am liebsten verkleidet. Sich einen Schnauzer
angeklebt und eine Perücke aufgesetzt. Sich verwandelt in einen korpulenten
Mann unbekannter Herkunft. Das wäre ideal gewesen. Aber im Moment, während er
wieder einmal von einem Passanten misstrauisch beäugt wurde, hätte ihm selbst
eine Kapuze gereicht, die er sich tief über sein im Tal bekanntes Gesicht
ziehen konnte. Nichts dergleichen war zur Hand. Julius stand in der Heerstraße
in Bad Neuenahr-Ahrweiler und bereitete sich auf den nächsten Anlauf vor, um
eines der selbst kopierten DIN-A 3-Plakate loszuwerden. Das Layout war simpel und
der Text kurz gehalten. Den meisten Platz nahm ein Foto des mysteriösen
Wanderers ein. »Wer hat diesen Mann gesehen?« stand darunter. »Bitte melden
unter 0172-4711«. Auf Franz-Xavers
Anraten hatte er noch »Belohnung« hinzugefügt. Mit Ausrufezeichen. Er hatte
keine Ahnung, woraus diese bestehen würde.
    Aber das Handy war den ganzen Tag stumm geblieben. Niemand schien
den Mann gesehen zu haben. Mittlerweile zweifelte Julius gewaltig am Nutzen der
ganzen Aktion. Schweren Herzens entschloss er sich, noch einen letzten Versuch,
einen letzten Aushang, anzugehen. Er hatte schon in den Winzergenossenschaften
von Mayschoß, Dernau und Walporzheim Plakate untergebracht bekommen – zum
Teil sehr widerwillig, da die Genossen nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen
waren. Wer ihre Weine nicht führte, dem musste man schließlich keinen Gefallen
tun. Die Einstellung würde auch bei dieser Adresse vorherrschen. Dafür war sie
ermittlungstechnisch gesehen ein würdiger Abschluss.

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