In Vino Veritas
ein Uhr ins Bett
kam, galt noch Schonfrist. Endlich erreichte er die rettende Klinke und drückte
sie herunter. Er blickte in ein bekanntes Gesicht, allerdings in einer
zornigeren Ausführung. Julius hatte keine Lust sich zu ärgern. Er wollte wieder
ins Bett.
»Kommen Sie später wieder!«
Er machte die Tür zu. Zumindest so weit, wie es der Schuh der
Kommissarin zuließ. Sie stieß die Tür auf und rauschte an Julius vorbei
Richtung Wohnzimmer. Als er schlurfenderweise eintraf, stand von Reuschenberg,
die Hände in die Hüften gestützt, neben dem Tisch. Darauf lag eine Liste.
Julius ließ sich in einen der Rattanstühle fallen.
»Was soll der Auftritt?«
»Sehen Sie die Liste?«
Julius stellte die Pupillen in einem Akt Herkulesscher
Kraftanstrengung scharf.
»Ja.«
»Schauen Sie sie an!«
Es war eine Liste, die offenkundig Auskunft über die im Ahrtal
lebenden Jäger gab. Zumindest fand sich dies als Überschrift auf dem Blatt.
»Na und?«
»Sehen Sie den Namen, neben dem ich ein Kreuz gemacht habe?«
»Ja, den Mann kenn ich. Netter Kerl.«
Von Reuschenberg näherte sich bedrohlich Julius’ schlafverquollenem
Gesicht. » Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie auch
Jäger sind ?«
Julius sah sie an, ohne eine Miene zu verziehen. Dazu fehlte noch
die Kraft. Er brauchte vorher …
»Kann ich erst mal frühstücken?«
»Sie haben vielleicht Nerven!«
»Nein, ich hab Hunger . Lassen Sie mich mal
durch.«
Er schob sich an der Kommissarin vorbei, um in der Küche ein kleines
Schälchen mit Schokomüsli zu füllen und sich einen Apfel zu greifen. Dieses
Basis-Frühstück musste heute wohl reichen. Dann setzte er sich wieder und
begann, den Jonagold zu essen. Das Müsli brauchte noch, bis die Haferflocken
die richtige Konsistenz angenommen hatten. Nach einigen Bissen fühlte er sich
gestärkt genug, um grammatikalisch korrekte Sätze zu bilden.
»So, Frau von Reuschenberg. Ich bin Jäger, ja, wie viele andere im
Tal. Und ja, es ist nicht das Erste, was ich einem Polizisten erzähle, wenn ich
ihn treffe. Ich erzähle aber auch nicht direkt, dass ich Anne-Sophie Mutter für
maßlos überschätzt halte und Bananen am liebsten grün esse. Entschuldigung !«
»Begreifen Sie nicht? Sie gehören von nun an zum Kreis der
Verdächtigen!«
Dank des Morgens nahm Julius die Anschuldigung wie durch einen
Schleier wahr. Sie kam daunenweich bei ihm an, wie ein schlechter Scherz, und
störte nicht beim Weiteressen.
»Nur weil ich ein Gewehr habe? Siggi wurde doch gar nicht
erschossen.«
»Sie sind verdächtig, Markus Brück umgebracht
zu haben! Wie Sie wissen, vermuten wir, dass der Mörder ihn mit Waffengewalt in
die Presse gezwungen hat. Sie haben eine Waffe, und Sie haben Markus Brück
›gefunden‹. Wer weiß, wie lange Sie schon da waren? Und Sie haben ein Motiv:
Sie wollten Ihre Großkusine unbedingt aus der Haft haben. Das haben Sie mir oft
genug gesagt! Und als Sie mich nicht überzeugen konnten, dass sie unschuldig
ist …«
»… hab ich Markus um die Ecke gebracht. Und lass es dadurch so
aussehen, als liefe der Mörder noch frei rum. Was für ein cleveres Kerlchen ich
doch bin!«
Das Müsli hatte mittlerweile die richtige Saftigkeit. Julius begann,
es genussvoll zu essen. Von Reuschenberg riss ihm den Löffel aus der Hand.
»Was soll das? Darf ich jetzt nicht mehr frühstücken?«
»Wissen Sie eigentlich, in welche Lage Sie mich gebracht haben?
Meine Vorgesetzten wissen, dass ich Sie in den Fall einbezogen habe! Wie stehe
ich denn jetzt da? Wie übertölpelt!«
» Liebe Frau von Reuschenberg. Erinnern Sie
sich noch, dass ich selbst es war, der Sie auf die Idee mit den Jägern gebracht
hat? Für wie dumm halten Sie mich eigentlich?«
Keine Antwort. Julius fuhr unbeirrt fort.
»Es tut mir Leid, wenn ich Sie da in die Bredouille gebracht habe,
aber ich war’s nicht, ich schwöre!« Er hob die rechte Hand.
»Wo waren Sie in der Nacht, als Siegfried Schultze-Nögel umgebracht
wurde?«
»In meiner Küche. Und das kann Ihnen jeder bestätigen.«
»Die ganze Zeit?«
Julius musste lachen. »Natürlich! Wer soll denn sonst die Arbeit
machen?«
Herr Bimmel pirschte über den Tisch Richtung Müsli.
»Das werden wir überprüfen.« Von Reuschenberg setzte sich und
begann, den Kater ruppig zu streicheln. Dieser entzog sich schnell ihren
Liebkosungen und nahm vor Julius Bettelpositur ein, den Kopf leicht zur Seite
geneigt.
»Ich will Ihnen ja glauben, dass Sie
nichts damit zu tun haben. Aber ich
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