In Vino Veritas
darf es nicht.
Wenn noch etwas kommt, das Sie verdächtig macht, dann werde ich nicht anders
können, als Ihnen die Hölle heiß –«
»Eine Warnung?«
»Nein. Schlicht und ergreifend eine Tatsache.«
Julius zog die Liste zu sich heran und studierte sie.
»Ah, der Herr Landrat, jaja … der Tommy, schießt wahrscheinlich
für sein ›Himmel und Äd‹ … Gerdt und Hans-Hubert … Siggi
selbst … August steht natürlich auch drauf … alles keine
Überraschungen.«
Er schob die Liste wieder zu von Reuschenberg. »Kann ich Sie noch
was fragen?«
»Versuchen Sie es.«
»Gibt es schon Neues von Bernard Noblet?«
Von Reuschenberg schaute ihn lange an, die Hände nach Dürer-Art
gefaltet vor den Lippen. Als würde sie abwägen, ob sie Julius weiter Einblick
in die Nachforschungen gewähren sollte.
Dann lächelte sie. »Nein, rein gar nichts.«
Julius überlegte. Einige Namen auf der Liste hatten ihn an eine
weitere Spur erinnert.
»Haben Sie die Ermittlungen eigentlich auch in Richtung
Restaurateure ausgedehnt?«
»Es gibt kaum eine Richtung, in die wir die Ermittlungen nicht ausgedehnt haben. Warum fragen Sie?«
Julius erzählte von Hans-Huberts Verdacht, dass die von Siggi
Abservierten Rache geübt haben könnten. Von Reuschenberg machte sich Notizen.
»Haben Sie Namen?«
»Nein.«
»Und Sie selbst?«
»Hab den Keller voll.«
Julius schob Herrn Bimmel die leere Müslischale zu. Der Kater machte
sich sofort über den feinen, schokoladensüßen Milchfilm her, der kaum sichtbar
an den Seiten haftete.
»Sie verwöhnen ihn ja sehr.«
»Er hat es nicht anders verdient.«
Es glitzerte in den Weinbergen. Durch die tief stehende
Sonne wirkte der Tau wie Diamanten, die ein verschwenderischer Milliardär über
die Hänge verstreut hatte. Schieferlay, Kirchtürmchen, Forstberg, Rosenthal,
Trotzenberg, Burggarten, alle glitten an Julius vorbei. Sie lagen fast
ausnahmslos rechter Hand, nach Süden gerichtet. Die besten von ihnen waren
steiler als Rampen beim Skisprung. In einer so nördlich gelegenen Region wie
dem Ahrtal mussten Weinberge ein hervorragendes Mikroklima aufweisen, damit die
Trauben große Tropfen ergaben. Wichtig war zudem der Boden, oder besser: das
Gestein. Der dunkle Schiefer und die Grauwacke speicherten die Wärme des Tages
wie Thermoskannen und gaben sie in der Nacht an die Reben ab.
Julius musste fast die gesamten fünfundzwanzig Kilometer fahren, die
das Anbaugebiet ausmachten. Sein Ziel war eine der westlichsten Lagen des Tals:
das Altenahrer Eck. Er suchte sich einen Parkplatz in Reimerzhoven und stieg
die steilen Terrassen zum Weinberg hinauf. Es war nicht zu übersehen, dass die
Lage für das Rotweinparadies Ahr ungewöhnlich war. Denn hier herrschte Weißwein
vor. Julius’ Blick war geschult genug, um auch ohne Trauben an den schon
gelesenen Rebstöcken zu erkennen, was er größtenteils vor sich hatte: Riesling,
nicht die roten Sorten Spätburgunder und Portugieser wie sonst üblich. Aber das
konnte es nicht sein, was den Wanderer an dieser Lage interessierte. Julius
suchte etwas Verräterisches. Was hatte der Alte bei der AhrWein gesagt? Der
Wanderer sei wie ein Spürhund, mit der Nase nach unten, durch die Rebzeilen
gegangen. Also forschte Julius penibel den Boden ab, den Kopf tief gesenkt, als
nähere er sich dem Papst. Aber selbst das Scharren mit dem Fuß an
ungewöhnlichen Stellen, wo die Erde kleine Erhebungen zeigte, brachte keine
Ergebnisse.
Nach einer geschlagenen Stunde musste Julius sich eingestehen, dass
dies eine Steillage wie viele andere an der Ahr war. Es gab nichts
Bemerkenswertes. Nur den wunderschönen Blick, den man über die Burg Are mit der
Doppelkapelle hatte, das weiße Kreuz, hoch auf dem blanken Felsen, und die Ahr,
die geschmeidig zwischen Engelsley und Krähhardt hindurchfloss. Ein Zug fuhr
friedlich über die Eisenbahnbrücke und in den Fels hinein, Richtung Altenahr.
Es war, als wollte das Ahrtal seine Nerven beruhigen, ihm versichern, dass das
Leben weiter seinen ruhigen Gang ging, auch wenn Blutspritzer an den Schuhen
hafteten.
Julius zog die Windjacke aus und setzte sich darauf, schaute
hinunter ins Tal, auf die Ahr, die unbeirrt weiterfloss, keinen Halt einlegend,
ihr Ziel klar im Blick. Julius war sich seines Wegs nicht mehr so sicher. Was
hatte er eigentlich gehofft, hier zu finden, was ihm bei der Aufklärung der
Morde half? Doch wohl kein notariell beglaubigtes Geständnis. Und auch keinen
Videofilm mit den grausamen Morden. Und
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