In Vino Veritas
die
wirklich wichtigen Dinge im Leben. Verschwiegenheit gehört dazu. Sie ist das
Allerbeste für meine Reputation.«
Julius versuchte, ihn mit Blicken zu durchbohren. Genauso gut hätte
er versuchen können, den Tisch mit der Handkante zu zerschlagen. Beides
verursachte Schmerzen.
Julius’ Blick schweifte ab, auf das Bücherregal, die schönen, alten
Einbände, die verschnörkelten Titel. Er wollte sich schon aufmachen, klein
beigeben, als er etwas sah, das ihm eventuell weiterhelfen konnte. Ein
Kochbuch. War da nicht was? Kochte Hinckeldeyn nicht ebenso gern wie schlecht?
Hatte er nicht in früherer Zeit, einmal im Jahr, in der Adventszeit, ein Essen
für seine besten Klienten gegeben? Vielleicht tat er das ja immer noch?
»Steht das Menü schon für dieses Jahr?«
Hinckeldeyn blinzelte. Der Berg hatte geblinzelt!
»Nein. Noch nicht ganz. Aber bevor du fragst: Ich glaube kaum, dass
du mir da helfen kannst. So einen Kokolores wie du koche ich nicht. Bei mir gibt
es nur beste deutsche Hausmannskost.«
Julius war froh, dass Hinckeldeyn seine Küche als Kokolores
betrachtete und daher niemals einen Fuß in die »Alte Eiche« gesetzt hatte.
Dieses Vorurteil hatte Julius bestimmt viel Ärger und Erniedrigung erspart.
»Was fehlt denn noch?«
Plötzlich war Hinckeldeyn das Gespräch leid. »Das Dessert. –
Aber ich denke, du solltest jetzt gehen. Ich habe heute noch viel zu tun!«
Wieder eine Lüge, wieder überzeugend vorgetragen. Julius setzte ein
letztes Mal an. Danach würde er keine Chance mehr bekommen.
»Ich hätte da etwas ganz Traditionelles – und doch
Raffiniertes: Geeister Lebkuchen mit Himbeersauce.«
Hinckeldeyn öffnete die Wohnungstür, ohne die Miene zu verziehen.
»Ist ganz einfach zuzubereiten!«
»Ich kann alles kochen, was andere auch kochen können. Ist ja
schließlich keine Kunst!«
Jetzt wurde er mürrisch.
Julius blieb stehen. Hinckeldeyn würde das Rezept bekommen. Ob er
wollte oder nicht.
»Man kauft einfach einen guten, saftigen Lebkuchen, schneidet ihn in
Scheiben und legt ihn über Nacht ins Gefrierfach. Am nächsten Tag macht man mit
100 Gramm Himbeeren, zwei Esslöffeln Honig und,
wenn man will, vier Esslöffeln Balsamico-Essig die Sauce. Nur noch schön
dekorieren, Minze passt prima, und fertig ist der krönende Abschluss.«
Eine Hand drückte Julius gegen den Rücken und bugsierte ihn hinaus.
Hinckeldeyn verriegelte die Tür. Julius beschloss, nie wieder Rezepte auf gut
Glück herauszugeben. Dieses war so trickreich und auf dem Teller so
beeindruckend. Perlen vor die Säue.
Die Tür öffnete sich wieder.
»Es ging nicht um Scheidung. Wäre es auch nie gegangen. Es ging um
etwas völlig anderes. Sehr unerfreuliche Geschichte. Und zum Mörder: Ich
glaube, ich weiß, wer es ist. Hätte zumindest einen Grund. Er wird niemanden
mehr umbringen. Und irgendwann wird man ihm auf die Spur kommen. Irgendwann
wird es schief gehen. Wie immer.«
Julius’ Mund schnellte auf, um die so wichtige Frage zu stellen: Wer
war es?
»Frag nicht, Junge. Über Mandanten kommt kein belastendes Wort von
mir über die Lippen. Niemals.«
Die Tür ging zu. Bevor Julius sich umdrehen konnte, öffnete sie sich
wieder einen Spalt.
»Und Siegfried hat niemals einen Terminkalender geführt!«
Sie fiel ins Schloss.
VI
»Katzensüppchen«
Es klingelte an der Tür.
Obwohl alle wussten, dass Julius ein Morgenmuffel und vor dem
Frühstück nicht ansprechbar war.
Er hätte in diesem Moment etwas ahnen müssen, wissen, dass was in
der Luft lag. Aber er war zu schlaftrunken, um die Alarmsirenen zu beachten,
die im Unterbewusstsein heulten. Träge zog er sich den Morgenmantel über und
schob die nackten Füße in die schon am Abend ordentlich bereitgestellten
Birkenstocks. Kaum aus dem Schlafzimmer – das stete Klingeln wie
zerbrechendes Geschirr im Kopf –, umschnurrte ihn auch schon Herr Bimmel.
Julius nahm den Kater auf den Arm und streichelte ihm mehrmals über das
Köpfchen. Schnell hatte Herr Bimmel genug davon und fing an zu strampeln. Es
gab Wichtigeres, als gekrault zu werden – Fressen wäre das Erste. Julius
war noch nicht aufnahmefähig für die subtilen Zeichen der Katze, die jetzt
darin bestanden, laut maunzend zur Küche und wieder zurück zu rennen. Er wankte
Schritt für Schritt weiter zur Tür, weiter zum Ursprung des Schmerzes, weiter
zur Quelle des brutalen Klingelns. Des Klingelns zur Unzeit – auch wenn es
bereits halb acht war. Für einen Koch wie Julius, der kaum vor
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