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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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Rücken! Du müsstest auch mal wieder zum
Frisör gehen. Siehst ja aus wie ein Zottel! Schön, dich zu sehen!«
    Niemand aß mehr.
    Die Heiligen begrüßten Julius mit ernster Miene.
    »Julius! Wir freuen uns sehr darauf, bei dir zu speisen. Aber dürfen
wir dir sagen, dass du kein Kreuz über deinem Eingang hängen hast? Wir werden
dir eins aus unserer Sammlung senden, wenn wir wieder daheim sind. Und mach dir
keine Gedanken – es ist ein Geschenk, von uns für dich.«
    Franz-Xaver schritt hilfreich ein. »Ich darf die Herrschaften dann
in unseren Blauen Salon bitten!«
    Der Blaue Salon war für größere Gesellschaften. Julius bedauerte
nun, dass er ihn nicht durch eine Tür vom Restaurant abgetrennt hatte. Der
Schall konnte sich ungehindert ausbreiten. Und das tat er im Laufe des Abends
auch. Die Sippe feierte lautstark und nahm Julius allzu wörtlich. Fühlt euch
ganz wie zu Hause!
    Die Küche ächzte wie ein zu schwer beladener Marktkarren. Der
Service brach bald unter den Extrawünschen zusammen. Die Heiligen hatten um
einfache Kost gebeten. Kartoffelsalat mit Würstchen. Julius biss sich auf die
Hand, stellte aber einen der Köche ab, um sich darum zu kümmern. Es war
schließlich die Familie. Und auch dieser Abend würde vorbeigehen. Dieses
Fegefeuer, durch das er gehen musste. Leider wurde er ständig zur heißesten
Stelle gerufen. An den Tisch im Blauen Salon.
    »Bleib doch bei uns, Julius! Setzt dich hin und lass dich mal
verwöhnen! Kannst doch nicht immer nur arbeiten!«, sagte jovial Vetter Willi.
    »Nu halt den Julius doch nicht von der Arbeit ab! Der muss doch
schließlich Geld verdienen!«, hielt seine Frau dagegen. »Damit er seiner
Zukünftigen auch was zu bieten hat!« Sie knuffte Julius in die Seite. Der sagte
nichts, lächelte nur und kochte innerlich. Äußerlich jedoch nicht mehr, denn
die Zeit ging fürs Organisieren drauf. Er schaffte es auch nicht länger, die
Gerichte des Kritikers zu kontrollieren, denn ständig trottete ein
interessierter Verwandter in die Küche, um nachzuschauen, ob auch fleißig
gearbeitet wurde. Es war, als hätte Julius eine Horde Erstklässler auf
Schulausflug im Haus. Onkel Jupp war nun an der Reihe, in der Küche
aufzutauchen.
    »Julius, könntest du mir vielleicht ein paar Fritten zum Steak
machen? So was habt ihr doch bestimmt! Ich mag dieses Kartoffelgratingedöns
nicht. Ist mir zu fettig, weißt du, das haben die Damen nicht so gern!«
    Er streichelte stolz seinen Bierbauch. »Nicht, dass du denkst, das
wäre Fett. Samenstränge, mein Junge, alles Samenstränge!«
    Julius nickte wie ein Wackeldackel im Heck eines alten Benz.
    »Ein Anruf für dich!«, brüllte Franz-Xaver über den Lärm in der
überforderten Küche.
    »Ich hab jetzt wirklich keine Zeit!«, erwiderte Julius. Wenigstens
zu Franz-Xaver konnte er barsch sein.
    »Sie sagt, es sei dringend.«
    » Wer sagt das?«
    » Des sagt sie net.«
    Julius stampfte zum Apparat im hinteren Teil der Küche. Er würde der
Unbekannten, wer immer es war, eine Abfuhr erteilen.
    »Eichendorff.«
    »Herr Eichendorff, ich habe es bereits der Polizei erzählt, aber Sie
ermitteln ja auch. Gisela Schultze-Nögel war es. Sie hat es schon einmal
versucht.«
    Es war dieselbe Frauenstimme, die Julius auch bei der Kripo gehört
hatte. Wieder verstellt, wie durch einen Strumpf vor dem Hörer, und die Stimme
unnatürlich hochgedrückt.
    »Wer sind Sie? Ich spreche mit niemandem, dessen Namen ich nicht
kenne.«
    »Sie hat es letztes Jahr schon einmal versucht! In der Steillage hat
sie ihn umgeworfen, damit er sich das Genick bricht!«
    Julius wusste von dem üblen Sturz. Aber es hieß, Siggi sei mit dem
Fuß umgeknickt.
    »Ich hab der Polizei schon eine Zeugin genannt. Also hören Sie auf,
die Gisela zu schützen! Die ist es nicht wert, das Miststück!«
    Klacken. Besetztzeichen.
    Von draußen war wieder stürmisches Gelächter zu hören. Wenn Pferde
lachten, konnte das nicht tierischer sein. Julius reichte es, er würde jetzt
schnurstracks in den Blauen Salon gehen, um der Sippe Bescheid zu sagen. Seine
Geduld war am Ende. Wütend stieß er die Schwenktür zum Restaurant auf –
und Franz-Xaver ins Gesicht. Der landete mitsamt dem abgeräumten Geschirr, das
er in Händen gehalten hatte, auf dem Boden. Mit lautem Scheppern. Und ebenso
lautem wienerischen Fluch. Alle blickten auf das Elend. Auch der Kritiker, der
bereits viel zu lange auf das Dessert wartete. Julius sah, dass er nun eine
Handbewegung in Richtung Kellner machte.

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