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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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Er verlangte die Rechnung. In Julius’
Kopf brach das klapprige Gerüst zusammen, das seine geistige Gesundheit
gestützt hatte.
    » Bist du blind ?«, schnauzte er Franz-Xaver
an.
    »Na, du bist blind!«, erwiderte der
niedergestreckte Maître d’hôtel in unangemessener Lautstärke.
    Keiner der zwei rührte sich. Keiner gab nach. Schließlich war es
François, der seine beiden unter Starkstrom stehenden Vorgesetzten in die Küche
bugsierte. Der Schaum stand ihnen vor den Mündern. Franz-Xaver fand als Erster
wieder die passenden Worte. Wenn auch keine freundlichen.
    »Du und deine depperte Sippschaft, ihr steht’s mir bis hier!« Seine
Hand zeigte deutlich an, dass sich dieser Punkt weit über der Schädeldecke
befand.
    »Das sind genau die Situationen, in denen
sich zeigt, wer ein guter Oberkellner ist!«, konterte Julius.
    »Ich bin kein damischer Oberkellner, ich bin ein Maître
d’hôtel , und zwar der beste weit und breit!«
    »Ja! Von hier bis zur anderen Straßenseite!«
    Franz-Xaver warf sein dunkles Sakko mit Schmackes in die Ecke. »Ich
geh jetzt! Vielleicht hat sich der Herr ja morgen früh wieder beruhigt. Dann
erwart ich eine Entschuldigung! Und noch etwas, Herr Detektiv, ich sollt’s dir
eigentlich net sagen nach deinem Verhalten hier. Worüber wir heut Nachmittag
kurz gesprochen haben. Ich weiß mittlerweile, was die Verbindung zwischen den
Opfern is!«
    »Ach ja, und was soll das bitte sein, du neunmalkluger Wiener
Wichtigtuer!«
    »Herold! August Herold is die Verbindung! Wünsche noch einen schönen
Abend gehabt zu haben!«

VIII
    »Kalter Hund«
    Es galt, diesen Abend zu vergessen, die Erinnerung daran
vollständig aus dem Gedächtnis zu entfernen wie ein eitriges Geschwür. Julius
entschied sich, ihm wegzulaufen. So lange zu gehen, bis er an nichts mehr
dachte außer an den nächsten Schritt.
    Es wurde eine lange Nacht.
    Zudem eine sternenklare. Und eine stille. Julius war bis zu diesem
Moment, als ihn die Füße schon bis Rech getragen hatten, nicht klar gewesen,
wie laut seine Schritte waren, wie geräuschvoll der Kies unter den Schuhen
schmirgelte, als trage er immer ein kleines Stück Boden ab. Bei all den
Touristen, die Jahr für Jahr kamen, musste das Ahrtal folglich immer tiefer
werden und die Weinberge stetig höher. Julius blickte auf die mit Silberfarbe
bestrichenen Hänge, die sich leicht wie Glitter an einem Weihnachtsbaum
bewegten. Das Tal wirkte nun, in der Mitte der Nacht, wie unter Wasser liegend.
In der Tiefe blieben nur die Blautöne.
    Julius ging und ging, vor den Sorgen fliehend.
    Die B267 behielt er immer im
Blick, denn er wollte allein, aber nicht einsam sein. Die Autos, die ab und an
vorbeifuhren, gaben ihm die Sicherheit, dass er nicht der letzte Mensch auf
diesem Planeten war. Auch wenn eigentlich alles danach aussah. Julius besah
sich die stummen Häuser, wie Kulissen einer Filmstadt nach Drehschluss. Das Tal
schlief.
    Die Füße hatten ihn unbemerkt weg von der Bundesstraße getragen,
durch Mayschoß Richtung Mönchsberg, wo August Herolds Weingut Porzermühle lag.
Es ruhte im Talkessel, wie eine schlafende Schöne das Licht des Mondes auf den
Wangen spiegelnd. Julius schlich zum gusseisernen Eingangstor, strich eine
Weinrebe, die unordentlich darüber hing, zur Seite und blickte hinein in den
Vorgarten mit dem kleinen Flüsschen vor dem Wintergarten, der wie ein großer,
dunkler Diamant in seiner Fassung ruhte. Viele Spuren führten hierher. Sogar
mehr als zu den Weinbrüdern und dem Duo Prieß/Carême. Vieles deutete darauf
hin, dass die Blutströme hier ihre Quelle hatten. Einen Augenblick dachte
Julius daran, in das Gut einzubrechen und nach Hinweisen zu suchen. Zum
Beispiel den sechs gestohlenen Flaschen. Aber das war nicht seine Art. Außerdem
hatte Herold eine teure Alarmanlage installieren lassen. Die rote
Signalleuchte, die an der Hauswand klebte wie ein dickes Insekt, machte dies
allen unerwünschten Besuchern klar.
    Plötzlich waren laute Schritte aus dem Haus zu hören. Julius duckte
sich instinktiv neben das Eingangstor. Die Haustür wurde aufgeschlossen, Herold
kam im Schlafanzug heraus und ging in die Kelterhalle. Julius sprang auf. Vor
lauter Angst, erwischt zu werden, nahm er den kürzesten Weg und rannte laut
knirschend über den Kies. Er hörte, wie Herold wieder aus der Kelterhalle kam,
etwas rief und sich dem Tor näherte.
    Doch Julius war schnell. Er schlug wie ein Hase Haken durch die
verwinkelten Gässchen des Ortes. Wieder auf der B267

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