Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
Vom Netzwerk:
gewesen.
Hätte ein ordentliches Trinkgeld gegeben. Sich nichts anmerken lassen. Antoine
wusste über die wahre Identität des Herrn Schneider durch seinen Schwager, in
dessen Hotel er abgestiegen war. Die Rechnung ging nach Karlsruhe – an
Michelin.
    Jetzt war Julius an der Reihe. Das Menü stand. Die Zutaten waren
knackfrisch. Restaurant- und Küchenbrigade waren eingeschworen. Nichts würde
schief gehen.
    Julius betrat die Küche, klatschte in die Hände und begab sich zum
Platz an der Ausgabe, um noch einmal die Tellerdekorationen durchzugehen. Das
war eigentlich nicht nötig, denn er hatte sie am Wochenende in mühevoller
Kleinarbeit ausgetüftelt, immer wieder verworfen und neu kombiniert, bis Farben
und Formen einen Tanz auf dem Teller ergaben. Aber es lenkte ihn ab. Er hatte
etwas zu tun.
    Der Kritiker kam früh, war der Erste. Er bekam den besten Tisch,
weit von Küche und Eingangstür entfernt. Julius schickte Franz-Xaver, um die
Bestellung aufzunehmen, und wartete ab. Es war einer der Momente, in denen
selbst Nichtraucher wünschten, eine Zigarette zur Hand zu haben. War alle Mühe
umsonst gewesen, oder schluckte der Kritiker den Köder?
    Franz-Xaver kam niedergeschlagen zur Schwenktür herein.
    Julius drehte sich weg. Verdammt! Der Kritiker hatte à la carte
bestellt, um auch die Gerichte zu erwischen, bei denen der Koch nicht
brillierte, sondern nur »gut« war. Auch Julius hatte Schwächen. Kalbsbries
gehörte in irgendeiner Form auf die Karte eines Klasse-Restaurants, doch Julius
war mit der Thymusdrüse des Kalbes nie warm geworden. Aber Gourmets erwarteten
es, und der Gast war König. Das eiserne Gesetz im harten Markt der
Spitzengastronomie. Julius’ großes Menü, in dem er alle Stärken vereint hatte,
war nicht verlockend genug gewesen, um den Kritiker von seiner
Stichproben-Methode abzuhalten. Die erste Schlacht war verloren.
    Jemand tippte ihm auf die Schulter. Julius drehte sich um und sah in
Franz-Xavers lachendes Gesicht, die Bestellung hielt er wie eine Trophäe in die
Höhe.
    »Er hat des große Menü genommen!«
    Julius ballte die Faust. »Du bist mir schon ein Wiener Würstchen!«
    »Ich muss doch sehr bitten!«
    Die weitere Kriegstaktik sah wie folgt aus: Jedes Gericht wurde für
den Kritiker zweifach gekocht. Julius würde dann das optisch einen Tick weniger
ansprechende auswählen und probieren. Wenn irgendetwas nicht stimmte: Retour.
Diese Sicherung musste sein. Und natürlich konnten ein wenig extra Beluga und
Albatrüffel hier und da auch nicht schaden.
    Bis zur Herr-Bimmel-Suppe lief alles hervorragend.
    Der Kritiker schlemmte, ließ nichts übrig, wirkte zufrieden wie die
Made im Speck.
    Dann brach das Chaos los.
    Die Landplage kam über Julius’ Reich wie die Dämmerung über den Tag.
Onkel Jupp führte die neun Reiter der Apokalypse an: Tante Traudchen, Kusine
Anke mit Anhang, Großtante Käthe, Vetter Willi mit Frau Gertrud, und auch die
beiden Heiligen aus dem Sauerland waren dabei, Norbert und Heike. Von der Sippe
so genannt, weil sie sich auf einem immer währenden Kreuzzug für die einzig
heilversprechende Kirche befanden – ihrer Meinung nach die
Neuapostolische.
    Julius konnte die Truppe bis in die Küche hören. Wenn es einen Gott
gab, so hatte er ihn in diesem Moment verlassen. Franz-Xaver stürmte herein.
    »Deine Familie will dich sehen! Soll ich’s rauswerfen?«
    Julius schüttelte traurig den Kopf und trat hinaus. Er kam nicht zum
Sprechen, er kam auch nicht dazu, ein paar Schritte zu gehen, denn Onkel Jupp
hatte sich aus lauter Unruhe, drei Sekunden warten zu müssen, selbst auf den
Weg zur Küche gemacht.
    »Julius, wir sind es! Hol das beste Geschirr raus, schlachte dein
fettestes Schwein! Jetzt wird gezecht, alter Bursche! Die Sauertöpfe aus dem
Sauerland sind bei uns eingefallen! Denen muss mal wieder gezeigt werden, was
das Leben so zu bieten hat.«
    Das ganze Restaurant spitzte die Ohren.
    Onkel Jupp hielt eine Hand vor den Mund und fuhr im Flüsterton fort.
»Tu mir einen Gefallen und sprich nicht die Sache mit Siggi und Markus an. Das
ist schon tagein, tagaus Thema, muss ja nicht auch noch beim Feiern sein. Also,
kein Wort, auch wenn es dir schwer fällt, mit deiner kulinarischen
Detektei hinterm Berg zu halten. Setzt das sogar in die Zeitung! Du
alter Angeber!«
    Gertrud kam auf ihn zu, die Hände erhoben, um an Julius’ Kleidung
herumzuzuppeln. »Wie siehst du denn wieder aus! Halt dich doch mal gerade! Und
zieh die Kochjacke nicht so in den

Weitere Kostenlose Bücher