In Vino Veritas
lehnte er sich an
ein nahes Haus. Kein Herold zu sehen. Kein Herold zu hören. Julius war so außer
Puste, dass er anfing zu husten. Schnell zurück nach Hause ins Bett, dachte er.
Erst als die Sonne aufging, kam Julius am Restaurant an. Gerade
rechtzeitig, um die Post direkt vom Briefträger entgegenzunehmen. Noch frisch.
Es war ein ganzer Packen, viel Werbung von Lebensmittellieferanten und Weinhändlern.
Die bunten Umschläge schrien geradezu nach Papierkorb. Erfreut stellte Julius
fest, dass auch eine Ausgabe der »Wein + Wirtschaft« dabei war, die er in der
Hoffnung bestellt hatte, etwas über Mostkonzentration zu erfahren. Wenn das der
Grund sein sollte, warum Siggi getötet worden war, dann musste er so viel wie
möglich darüber wissen. Wie das Titelbild verriet, fand sich tatsächlich ein
solcher Artikel im Inneren. Julius blätterte schnell dorthin, Berichte
überfliegend, die sich mit den Zukunftschancen der italienischen
Schaumweinregion Franciacorta, Rebstockdiebstählen beim berühmten burgundischen
Weingut Domaine de la Romanée-Conti und der im Februar bevorstehenden
Handelsmesse ProWein beschäftigten. Dann fand er endlich, was er suchte. Dort
war tatsächlich Siggis Edelstahl-Spielzeug abgebildet! Darunter alle Pros und
Kontras zum Thema. Julius begann zu lesen, spürte jedoch bald, wie seine Lider
schweren Rollladen gleich über die Augen fielen. Der Körper forderte Nachtruhe,
auch wenn es längst Tag war.
Als Julius schon fast zur Tür hinein war, fiel ihm auf, dass im
Briefkasten etwas steckte. Hatte der Postbote Zeit gehabt ein Schreiben
einzuwerfen, bevor Julius ihn begrüßt hatte? Schnell schloss er die weiße
Plastikbox auf. Es war kein Brief. Denn es gab keine Briefmarke, keinen
Adressaten, keinen Absender. Es war nur ein DIN-A 4-Blatt. Einfach gefaltet. Er las es:
»Hör auf
rumzuschnüffeln!
Sonst
passiert dir was!
Gezeichnet:
Einer, der es gut mit dir meint«
Und das auf nüchternen Magen, dachte Julius. Ein neuer
Punkt erschien auf der heutigen To-do-Liste: Der Drohbrief musste zur Polizei.
Aber erst einmal würde er schlafen, und zwar ohne den Wecker zu stellen. Da
konnte der Drohbriefschreiber wohl kaum etwas gegen haben. Und falls doch,
dachte Julius, habe ich ja immer noch eine dicke Kampfkatze.
»Das muss tatsächlich ein Irrer sein!«
Von Reuschenberg besah sich intensiv den anonymen Brief, während sie
mit Julius durch den Kurpark Bad Neuenahr spazierte, wie all die Kurgäste mit
ihren Schatten, die kranken Körper der gesunden Luft aussetzend. Julius hatte
bei der Polizei angerufen und erfahren, dass die Kripo-Beamtin zurzeit vor Ort
war. Nach einem kurzen Telefonat übers Handy stand die Verabredung für den
späten Nachmittag im Kurpark. Julius hatte am Eingang an der Kurgartenbrücke
gewartet, der so viel Charme versprühte wie eine Kaufhallen-Fassade. Nachdem
von Reuschenberg eine halbe Stunde zu spät gekommen war, hatte sie sich sofort
den Drohbrief geschnappt. Jetzt blickte sie ungläubig darauf.
»Der hat doch tatsächlich ein Komma ausgeschnitten, damit die
Zeichensetzung korrekt ist. In einem Drohbrief !« Sie
lachte. »Das muss ich den Kollegen zeigen!«
Julius war brüskiert. »Wenn Sie das nicht so auf die leichte
Schulter nehmen würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Immerhin geht das gegen
mich!«
»Herr Eichendorff, die Sache ist doch ganz einfach. Sie müssen eben
aufhören ›rumzuschnüffeln‹. Ich kann nicht verantworten, Sie länger in Gefahr
zu bringen. Außerdem glaube ich, dass wir dem Mörder dicht auf den Fersen
sind.«
Sie warf ihm einen merkwürdig kühlen Blick zu. Als wollte sie ihm
dadurch etwas sagen. Julius wurde das Gefühl nicht los, dass er mittlerweile
eine Spitzenposition in der Liste der Verdächtigen einnahm.
»Ach ja?«
»Ich darf darüber nichts sagen, das könnte Sie zusätzlich in Gefahr
bringen. Übrigens: Ohne Sie wären wir niemals auf die richtige Spur gekommen.
Und jetzt lehnen Sie sich zurück und warten einfach ab. Es wird sich alles
aufklären. Ich habe übrigens einen Kollegen zu Ihrem Haus geschickt, um Ihre
Waffen zu untersuchen. Reine Routine, wegen dem Mord an Bernard Noblet. Wir
müssen das machen.«
»Glauben Sie etwa immer noch, dass ich …?!«
»Da haben wir doch schon drüber gesprochen. Wir machen nur unsere
Arbeit, und das gehört eben dazu. Wir wollen uns doch keine Schlamperei
vorwerfen lassen.«
Diese Kaltschnäuzigkeit regte ihn auf. Aber er hatte keine Lust,
darüber zu reden. Es
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