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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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Julius auf, mit sichtlicher Anstrengung das Glas haltend. Der
Mann presste sich ein Lächeln heraus, es war Tommy Prieß.
    »Julius Eichendorff, gönne er sich jetzt den Bruderschaftstrunk aus
dem Großen Glas der Ahrtaler Weinbruderschaft von 1682
Anno Domini!«
    Der Inhalt ließ sich schwer schätzen, aber fünf Liter waren bestimmt
drin, fürchtete Julius. Damit konnte er duschen, trinken konnte er das nicht.
Julius wich zurück. Eine Hand legte sich auf seine Schulter.
    »Du musst nur einen Schluck nehmen!«,
flüsterte ihm Herold ins Ohr. »Alle glauben zuerst, sie müssten das Große Glas
alleine austrinken. Das gehört einfach dazu!«
    Beruhigt nahm Julius einen Schluck. Es war ein leichter
Spätburgunder, fruchtig und weich. Der zur Linken von Bäcker stehende Mann, wie
Julius später erfuhr, handelte es sich um den Säckelmeister, trat vor und
übergab die Insignien der Bruderschaft: eine Anstecknadel und eine
burgunderrote Querschleife. Dazu die Regularien mit den Verhaltensregeln und
Vorschriften. Der Ordensmeister gratulierte ihm als Erster.
    »Schön, dich endlich dabei zu haben! Ich hoffe, du lädst uns alle
bald mal in dein Restaurant ein!«
    Applaus brandete auf, einige Weinbrüder riefen: »In Vino Salvatio!«
Dann fingen sie an zu singen. Julius wurde ein Blatt in die Hand gedrückt. Der
Text war bei den widrigen Lichtverhältnissen jedoch nicht lesbar. Allein die
Überschrift war groß genug gesetzt: »Cantus der Ahrtaler Weinbruderschaft von 1682 A.D. «
Julius konnte nur den Weinbrüdern lauschen, die alles gaben, was in ihren
frisch geölten Kehlen steckte:
    Macht der Wein die
Herzen weit –
    Warum ihn nicht preisen?
    Woll’n, von Alltagslast
befreit,
    Ihm die Ehr’ erweisen!
    Bruderschaftlich
pokulieren,
    Diskutieren und
probieren
    Ist ein Stück vom
Zecher-Paradies
    Ist ein Stück vom
Zecher-Paradies
    Wer ihn liebt, dem
schenkt der Wein
    Freundschaft, Weisheit,
Lachen,
    Mag als beste der
Arznei’n
    Müde munter machen.
    Weltenschmerz heilt an
der Ahr
    Guter Wein so wunderbar
    Weil er Leib und Seel’
zusammenhält
    Weil er Leib und Seel’
zusammenhält
    Wenn der Geist, der nie
verneint,
    Aus der Flasche redet,
    Was zerstritten war,
vereint,
    Und die sich
befehdet –
    Schnuppert unsre
Kenner-Nase
    Selig-kostend überm
Glase
    In Vino Salvatio!
Trinkt! Trinkt!
    In Vino Salvatio!
Trinkt! Trinkt!
    Wieder Applaus, wieder Rufe des Sinnspruches. Dann ging
das Große Glas um. Julius wurde von allen Seiten gratuliert, er schüttelte
unzählige Hände, bis das Büfett am anderen Ende des Kirchenschiffs eröffnet
wurde und die Weinbrüder dorthinzogen.
    »Jetzt hast du’s hinter dir!«, sagte Herold, der plötzlich neben
Julius auftauchte. »Komm, beim Brudermahl gibt’s was Zünftiges zu essen und zu
trinken. Die Nacht wird lang!«
    Julius folgte ihm, vorbei an vielen gut gelaunten Weinbrüdern. Er
folgte einem Mann, von dem er nicht mehr wusste, ob er ihn kannte. Ihm fiel
auf, dass er es nicht mehr schaffte, sich unbefangen gegenüber Herold zu
verhalten. Er stand auf der Verdächtigen-Liste ganz oben, genau wie die
Weinbrüder, die ihm nun freundlich zuprosteten. Er würde an diesem Abend
klären, was sie damit zu tun hatten. Julius wusste, dass die Chancen, etwas
Brauchbares zu erfahren, mit jedem Glas Wein stiegen.
    Herold drückte ihm einen Teller mit Sauerkraut und einem saftigen
Stück Kasseler in die Hand. Dann ging er los, um sich selber eine große Portion
zu holen. Er schien frohgemut wie ein Kind beim Geburtstag.
    Julius war bei der Hinfahrt klar geworden, wenn es sich tatsächlich
um einen Einzeltäter handelte, musste man nur wissen, was die drei Opfer
verband. Hatte man die Verbindung, hatte man das Motiv. Hatte man das Motiv,
hatte man den Mörder. Herold kam gerade mit voll beladenem Teller vom Büfett.
    »August, sag mal, kannten sich dein Franzose, Siggi und Markus Brück
eigentlich?«
    »Wie kommst du jetzt darauf? – Ach ja, du spielst zurzeit
Detektiv!«
    Julius hatte ganz vergessen, dass alle Bescheid wussten. Er konnte
nur abwiegeln, egal wie unglaubwürdig das klang. »Nein. Das war doch alles
Blödsinn. Ich hab mich das nur so gefragt.«
    »Ich mich auch schon, ist ja nicht so, dass du der Einzige wärst,
den die Morde beschäftigen. Aber nein, soweit ich weiß, kannten sich die drei
nicht. Bernard ist ja erst vor kurzem zu uns gekommen. Kann höchstens sein,
dass die drei mal zusammen zurückgefahren sind, wenn wir zeitgleich im
Altenahrer Eck gearbeitet haben –

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