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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas
Autoren: Carsten Henn
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dass Siggi mit einem Stock erschlagen
wurde. Und dann diese Blutorangensauce! Und eben schon der mit Rappen vergorene
Wein. Was kommt als Nächstes, Julius? Welchen makaberen Scherz muss ich mir
noch gefallen lassen? Womit hab ich das verdient?«
    Sie begann zu weinen. Julius wollte sie trösten, aber sie wehrte ab,
stand auf, nahm ihre Jacke und verließ das Restaurant. Er durfte ihr nicht
nachgehen. Er musste die Sache zu Ende bringen, sonst wäre alles umsonst
gewesen. Die Stimmung war mehr als gedrückt. Auch die Herolds schickten sich an
zu gehen.
    » Bitte bleibt sitzen! Das ist alles ein
schreckliches Missverständnis. Wahrscheinlich hat mir mein Unterbewusstsein
einen Streich gespielt. Ihr wisst ja, dass ich mich eine Zeit lang sehr
intensiv mit dem Fall beschäftigt habe. Es war keine Absicht. Wirklich. Bitte
bleibt, es wäre mir sehr wichtig.«
    Stille.
    Keiner wollte etwas sagen.
    Als Erster fand Bassewitz seine Stimme wieder.
    »Dann wollen wir mal nicht so sein, Julius. Wir kennen dich lange
genug, um zu wissen, dass du so was nicht mit Absicht machen würdest. Gisela
ist einfach zurzeit sehr labil. Ich glaube, ich spreche für uns alle, wenn ich
sage, dass wir gerne bleiben. Trotz allem ist das heute ja ein Festtag. Und es
gibt für meinen Geschmack sowieso viel zu wenig Feste, deshalb sollte man sich
auch keines davon verderben lassen!«
    Wie eine La-Ola-Welle zog ein Nicken durch die Runde, und
schließlich aßen alle weiter. Die Gespräche kamen nur zaghaft wieder in Gang,
aber nach einiger Zeit war fast wieder der Geräuschpegel vor Giselas Aufbruch
erreicht.
    Über den Wein sagte niemand ein Wort. Es war auch ein Eiswein, auch
vom Altenahrer Eck, auch aus dem Jahrgang 1998. Aber diesmal ein
Riesling, und diesmal vom Weingut Schultze-Nögel.
    Julius nahm sich nun die Zeit, um mit jedem einzeln zu reden. Bei
einer Person blieb er besonders lange. Sie war kalt wie eine Hundeschnauze. Es
sah nach einem Reinfall aus. Einem totalen.
    Julius hatte nur noch einen Köder in petto.
    Er wandte sich an die gesamte Runde.
    »Sehr verehrte Gäste, liebe Freunde! Ich möchte mich sehr bei Ihnen,
bei euch, bedanken, dass ihr heute Abend gekommen seid, um mit mir meinen
ersten Stern zu feiern. Ich muss jetzt leider kurz auf den Hof, um meinem
verwöhnten Kater den Mitternachtssnack zu servieren, und danach heißt es wieder
arbeiten in der Küche. Deswegen möchte ich mich jetzt verabschieden. Zum
Abschluss wird euch gleich noch ein Kaffee, oder wahlweise – natürlich
auch zusätzlich – ein Trester serviert.«
    Julius verschwieg den kriminologischen Hintergrund des Getränks. Den
würden sowieso alle kennen. Und sollten es auch. Besonders eine Person.
    Natürlich gab es keinen Mitternachtssnack für den Kater. Dieser lag
vermutlich faul auf dem Kratzbaum.
    Der letzte Köder war ausgelegt.
    Der Mörder wusste nun, wo Julius zu finden war.
    Ein letzter Blick auf die versammelte Truppe. Sie benahmen sich alle
wie immer. Mit weichen Knien begab Julius sich auf den Hof. Er hatte Angst,
davor, dass der Mörder kam, und Angst, dass er nicht kam. Das Blut floss so
schnell durch seinen Körper, dass es in allen Gliedern kribbelte. Julius’
Atmung war kurz, wie nach einem Sprint.
    Drinnen stand jemand vom Tisch auf.
    Julius wusste nicht, wohin er sich stellen sollte, um nicht direkt
ein Angriffsziel zu bieten.
    Es gab keinen sicheren Platz.
    Überall stand er wie auf dem Präsentierteller.
    Dann kam jemand um die Ecke.
    Und lächelte.
    »Was hast du den anderen erzählt, wo du bist?«, fragte Julius.
    »Ich hab gesagt, ich müsste mal kurz austreten.«
    »Hoffentlich meinst du das nicht wörtlich …«
    Er sagte nichts. Auch seine Miene verriet nicht, was er dachte,
verriet nicht, was er vorhatte. Nur die Augen bewegten sich flink in dem
ruhenden Gesicht. Er glitt in den Schatten neben der Tür.
    »Wie bist du auf mich gekommen?«
    Sein Gesicht lag nun im Dunkeln.
    »Ich hab lang dafür gebraucht. Zuerst hatte ich auf August getippt.«
    »Kann ich mir denken. Es hat mich sehr gefreut, was die Zeitungen da
in die Welt gesetzt haben.«
    »Es passte alles so gut zusammen. Zu gut.
Er hatte ein Motiv, nämlich das Abservieren seines ärgsten Rivalen und die
mögliche Übernahme des Weinguts. Er war der Einzige, von dem ich wusste, dass
er alle drei Opfer kannte. Und gemeinsam mit seiner Frau hat er auch nicht für
alle Taten Alibis gehabt.«
    »Klingt überzeugend.«
    »Aber er ist eben kein Mörder.«
    »Vielleicht kommt
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