In weißer Stille
und traf eine Entscheidung. Diese Frauen mussten ausfindig gemacht werden. Einige waren mit Gürteln gefesselt, genau wie Heckeroth. Vielleicht war das Zufall, vielleicht auch nicht.
Der große Manipulator, dachte Dühnfort. Was wusste man schon von seinen Eltern? Es kam ihm plötzlich vor, als kenne er von seinem eigenen Vater nur eine Oberfläche, an der alles abperlte. Auch er konnte Treue nichts abgewinnen. Ein Grund, weshalb die Ehe seiner Eltern gescheitert war. Ob sein Vater einen ähnlichen Hort an Versicherungen hatte? Denn so kam Dühnfort Heckeroths Album vor, wie ein Arsenal von Zeugnissen, Beweisen, Bestätigungen. Aber wofür? Waren diese Bilder sein Schatz fürs Alter, in dem er in grauen Stunden graben und sich bestätigen konnte, ein Eroberer gewesen zu sein, ein sexuell reger Mann, der die Macht und die Kraft besessen hatte, seine Obsession auszuleben? Waren diese Aufnahmen Anker, die er gelegentlich gelichtet hatte für eine kurze Reise in Erinnerungen; ein Memento wider die versiegende Männlichkeit, wider das Alter? Die letzten Bilder zeigten allerdings, dass diese Besessenheit nicht nur eine Sache der Vergangenheit war.
Heckeroth senior hatte es zeit seines Lebens genossen, Macht über Frauen auszuüben. Er hatte sie mit Tüchern, Seilen, Bändern, Krawatten, Riemen und Gürteln gefesselt. Ob all diese Frauen aus freiem Willen Heckeroths Bedürfnisse befriedigt hatten?
Der Signalton des Handys ließ Dühnfort hochschrecken. Vermutlich hatte Agnes auf die Mailbox gesprochen.
Nieselregen hatte eingesetzt. Dühnfort startete den Wagen und schaltete die Wischer ein. Eine schmierige Emulsion aus Schmutz und Wasser breitete sich auf der Windschutzscheibe aus. Als er aus der Parklücke scheren wollte, musste er erst einen Wagen passieren lassen. Es war Bertrams orangeroter Porsche. Er fuhr mit röhrendem Auspuff und überhöhter Geschwindigkeit durch die verkehrsberuhigte Zone.
* * *
Caroline Heckeroth biss in ein Stück Konfekt, das die Form eines Ahornblattes hatte. Die Umhüllung aus dunkler Zartbitterschokolade knackte, die Füllung zerging cremig auf der Zunge und war nicht zu süß, nicht zu nussig und mit exakt dem Hauch an Vanille, der den Geschmack im Mund explodieren ließ. »Einfach perfekt. Wenn das kein Verkaufsschlager wird, dann weiß ich nicht, was wir falsch gemacht haben.«
»Und wenn es ein Erfolg wird, dann ist das dein Verdienst.« Gilles Winterboom, Vorstand für Marketingund Vertrieb der Chocolaterie Jacques Kerity AG, erhob sich aus dem Sessel in Carolines Büro.
»Ich hatte nur die Idee. Die Produktentwicklung liegt schließlich in Jeffs Händen, und er macht das großartig. Ich habe lediglich die Marktlücke entdeckt und das Potential ausgelotet.« Caroline wusste, dass man als Frau besser daran tat, bescheiden aufzutreten. Ein Mann an ihrer Stelle hätte sich jetzt mit beiden Fäusten auf die Brust getrommelt und lauthals verkündet, dass er der tollste Affe in diesem Urwald sei.
»Nur keine falsche Bescheidenheit. Langsam wächst du in größere Schuhe hinein.« Mit diesen Worten verließ Gilles Winterboom Carolines Büro.
Wow! Völker, hört die Signale! Claus Henning konnte sich warm anziehen. Caroline lächelte und setzte sich hinter den Laptop. Die Idee für eine Herbstkollektion war ihr im vergangenen Jahr während des Urlaubs gekommen. Im Sommer sank der Schokoladenumsatz. Gerade im hochpreisigen Segment gab es aufgrund der Hitze Transport- und Lagerprobleme. Außerdem bevorzugten die Kunden an den heißen Tagen leichte Leckereien, die nicht schon in der Einkaufstasche schmolzen. Wenn aber die kühlen Tage kamen, stiegen die Umsatzkurven zuverlässig wieder an. Konnte man diesen Zeitpunkt nicht mit einem Premiumprodukt zelebrieren? Die Zielgruppe der Chocolaterie Jacques Kerity feierte die Feste, wie sie fielen. Sie kaufte teuren Maigouda und den ersten deutschen Spargel und trank jungen Beaujolais, sobald er auf Flaschen gezogen war. Sicher würde sie auch luxuriöse Herbstpralinen kaufen. Caroline hatte mit einer Marktanalyse ein enormes Potential festgestellt und gegen den Widerstand des Vertriebsleiters Claus Henning beim Vorstand durchgesetzt.
Die Kollektion sollte in knapp elf Monaten auf den Markt kommen. Die Produktentwicklung lief auf Hochtouren. Bis Januar mussten Name, Verpackung und die Werbekampagne stehen. Wenn das alles reibungslos und überzeugend über die Bühne ging, hatte Claus Henning schlechte Karten, Gilles’ Nachfolger zu werden.
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