In weißer Stille
Familie abspielte, ging niemanden etwas an. Und schon gar nicht die Polizei. Aber für solche Grübeleien hatte sie jetzt keine Zeit. Sechs Tage noch für drei Vorentwürfe. Babs griff nach einem Bleistift.
Albert kam zurück. Der Schlüssel quietschte im Schloss, die Tür schlug zu. Sie blickte in den Flur. Er hängte seinen Mantel auf und blieb vor dem Garderobenschrank stehen, starrte sekundenlang in den Spiegel und lehnte dann den Kopf dagegen. Es zerriss ihr das Herz. Auch wenn sie Wolfram nicht gemocht hatte, Albert hatte seinen Vater geliebt, und in diesem Moment wurde ihr klar, was sein Tod für ihn bedeutete. Sie ging zu ihm und nahm ihn in die Arme. Dabei spürte sie die Anspannung seines Körpers. »Hätte ich doch nur früher nach ihm gesehen.«
Sie fuhr ihm durch die Haare, genau wie ihren Jungs. »Du hast doch selbst gesagt, dass er schon einige Tage tot im Bad lag. Auch wenn du gestern gleich in der Früh gefahren wärst, hätte es nichts geändert. Es ist nicht deine Schuld.«
Er blickte auf. »Du hast ja recht, entschuldige.« Er machte sich los.
»Was soll ich denn entschuldigen?«
»Na, diesen Ausbruch.« Er sagte das, als ob er sich dafür schämte. Jungs weinen eben nicht und zeigen auch sonst keine Gefühle. So hatte Wolfram seine Kinder erzogen. Nur Leistung zählte. Albert ging in die Küche und schenkte sich ein Glas Mineralwasser ein, das er am Fenster stehend trank. Er atmete einige Male tief durch. Das tat er immer, wenn er angespannt war und zur Ruhe kommen wollte. Die Schultern sanken nach unten.
Sie blickte auf die Uhr. Die Jungs würden in einer knappen Stunde kommen. Noch immer hatte sie keinen Plan, wie sie ihnen schonend beibringen konnte, was ihrem Opa widerfahren war. »Kannst du Noel und Leon erklären, was passiert ist? Ich schaffe das nicht.«
Albert nahm ihre Hand. »Natürlich, Mäuschen. Ich verstehe dich ja. Du willst ihre heile Welt nicht zerstören. Aber es gibt eben auch das Böse und Grausame, genau wie Ungerechtigkeit und Niedertracht. Das müssen sie lernen.«
* * *
Dühnfort bat Gina, die Befragung von Caroline Heckeroth zu übernehmen. Er selbst fuhr zu Bertram nach Harlaching an die Hochleite. Eine Gegend, in der Ärzte, Unternehmensberater, Designer und viele Leute vom Film wohnten. Nach Geiselgasteig, zu den Studios, war es nicht weit. Große Häuser verbargen sich hinter Hecken und Mauern in weitläufigen Gärten. Zufahrten waren häufig videoüberwacht, Schilder warnten vor bissigen Hunden.
Mit dem Fotoalbum unter dem Arm stieg Dühnfort aus und betrachtete das Haus. Es bestand aus zwei miteinander verbundenen Gebäudeteilen aus Beton, Glas und Stahl, einem flachen Kubus und einem Würfel. Formensprache und Materialwahl erinnerten Dühnfort an Mies van der Rohe. Allerdings hätte der einem solchen Haus das passende Umfeld gegeben und es nicht auf dieses kleine Grundstück gezwängt.
Auf dem Garagenvorplatz parkte ein orangefarbener VW-Porsche 914 . Das Auto musste gut dreißig Jahre alt sein, war aber nicht sonderlich gepflegt. Es erinnerte Dühnfort an seinen Onkel Freddy, den Bruder seinerMutter. Der hatte sich in den Siebzigerjahren so einen Volksporsche gekauft. Damals war Freddy ein muskelbepackter Kerl mit dem Aussehen eines jungen Marlon Brando in
Endstation Sehnsucht
und dem eitlen Gehabe eines Hollywoodstars gewesen; dabei war er Hafenarbeiter. Die Frauen flogen trotzdem auf ihn. Voller Stolz hatte Freddy damals seinen Porsche vorgeführt. »Wenn du dir einen Porsche leisten kannst, dann kauf dir einen, und wenn nicht, dann nicht«, hatte Dühnforts Vater gesagt. »Das hier ist Firlefanz.« Dass Freddy nicht handgreiflich geworden war, war nur dem Einschreiten seiner damaligen Freundin zu verdanken gewesen.
Dühnfort schmunzelte bei dieser Erinnerung und ging weiter zur Haustür. Vier Löcher im Beton zeigten, dass hier bis vor kurzem ein Schild gehangen hatte. Der Größe nach zu urteilen, ein Firmenschild. Dühnfort betätigte den Klingelknopf. Kurz darauf öffnete ein untersetzter Mann mit kurzem Hals und Vollglatze. Er trug schwarze Jeans und einen schwarzen Rollkragenpullover. Dühnfort stellte sich vor.
»Sie bearbeiten also den Mord an meinem Vater?« Es klang, als würde Bertram Heckeroth mit dem Sachbearbeiter eines Bauantrags sprechen. Die Designerbrille, die er trug, verbarg die steile Sorgenfalte an der Nasenwurzel nur teilweise. Ein angespannter Zug lag um seinen Mund. »Bringen wir das hinter uns.«
Dühnfort folgte ihm
Weitere Kostenlose Bücher